#41 – Sonovabiscz – Von der Bürokratie zu Spiderman

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 5 / Folge 1.

Niemand trägt mehr Anzug und Krawatte im Büro, außer, er muss danach zu einer Beerdigung. Sonovabiscz schon. Sonovabiscz ist immerhin der Chef des Accountings, der wichtigsten Abteilung, wie er findet. Wenn er nicht wäre, wäre Chaos. Sodom und Gomorra. Oder „Sodom und Gonorrhö“, wie er sich ab und zu als kleines Späßchen zu sagen erlaubt, um auch die Nähe zum Nicht-Accounting-Volk zu demonstrieren.

Aber zurück: Sonovabiscz arbeitet immer lange. Es gibt ja so viel zu beachten, so viel zu tun. Sonovabiscz ist korrekt. Immer korrekt und prozesskonform. In jeder Situation. Nie neben der Spur.

Wenn er seinen Schreibtisch am Abend verlässt, dann kann man links und rechts von seiner Tastatur den Abstand zum Tischrand abmessen. Immer genau in der Mitte. Der Arbeitsplatz ist leergefegt und blitzt. So wie es die Büroregeln fordern. Einmal in der Woche, immer am Mittwoch, reinigt er mit einer Druckluftdose die Tastatur und putzt den Bildschirm.

Am Freitag erlaubt er sich, eine buntere Krawatte zu tragen. Auch im Homeoffice. Warum sollte da etwas anders sein? Nur am Sommerfest nimmt er die Krawatte ab und lockert den obersten Hemdknopf. Er will ja beim Volk anschlussfähig bleiben.

Sonovabiscz ist Perfektionist. Das erwartet er auch von seinen 82 Mitarbeitenden, die nichts anderes tun, als darauf zu achten, dass das Thema Accounting in aller Munde ist. Sonovabiscz hat ein Intranet-Schulungsprogramm ins Leben gerufen, in dem mit kleinen Videos Verstöße gegen die Accounting-Richtlinien von Comicfiguren vorgespielt werden. Sehr modern, wie er zu sagen pflegt. Man will das ja nicht mit echten Personen sehen und zwinkert einem dabei vertrauensaufbauend zu.

Das Programm wird Jahr um Jahr erweitert und dauert mittlerweile sechs Stunden und 43 Minuten. Jeder Mitarbeitende des Unternehmens muss das Programm einmal pro Quartal im Intranet absolvieren. Alle Videos, kein Weiterklicken, kein Schnellvorlauf. Zum Abschluss gibt es ein lustiges Quiz, bei dem man mehr als 80 Prozent richtig haben muss. Wer das geschafft hat, wird mit einem tollen Zertifikat für die Bürowand belohnt. Alles für das Accounting.

Wenn Sonovabiscz nach einem langen Tag in sein ebenfalls blitzendes Dienstauto steigt und heimfährt, erwartet ihn schon seine Familie. Also seine Mutter, die ihm seit 25 Jahren das Abendessen kocht und danach die Wohnung verlässt. Zu Frau und Kindern hat er sich nie durchringen können. Die schmutzen ja auch so. Das ist nicht compliant.

Nach dem Abendessen zieht sich Sonovabiscz ein Spiderman-Kostüm an, das seine Mutter jeden Tag wäscht, und spielt mit seinen Marvelfiguren einen Film nach. Auch das macht er perfekt.

Learnings

Die nächste Karikatur, völlig aus der Luft gegriffen. Die Learnings oder Erkenntnisse daraus lassen sich auf mehreren Ebenen zusammenfassen:

  • Perfektion ist nicht Professionalität. Sonovabiscz hält sich für den Inbegriff von Ordnung, Disziplin und Effizienz, doch seine „Korrektheit“ dient nicht dem Sinn, sondern der Selbstbestätigung. Er verliert den Blick für Menschen und Ergebnisse. Ordnung ersetzt keine Haltung.
    Das System fördert aber umgekehrt dieses Verhalten und belohnt es.
  • Konformität als Selbstzweck. Sein ganzes Dasein ist geprägt davon, regelkonform zu sein: vom exakt zentrierten Keyboard bis zur gereinigten Tastatur. „Nicht compliant“ ist für ihn gleichbedeutend mit „moralisch verwerflich“. Übermäßige Regelgläubigkeit führt zur moralischen Erstarrung, sie wird zum Ersatz für Denken und Verantwortung.
    Die Regelgläubigkeit wird von einem System unterstützt, das Angst vor Kontrollverlust hat.
  • Das Büro als Ersatzreligion. Das Accounting-System ist seine Welt, sein Kult, sein Glaubenssystem. Er missioniert mit Videos, Zertifikaten und „lustigen Quizzes“. Wenn bürokratische Strukturen religiöse Züge annehmen, inklusive Dogmen, Ritualen und Inquisition, verschwindet der Mensch hinter dem System.
    Der Regelkreis aus „noch mehr Regeln“ zu „noch mehr Kontrollen“ befeuert sich aus Systemperspektive selbst.
  • Verdrängte Menschlichkeit. Hinter der Fassade des Chefs steckt Einsamkeit: keine Familie, kein Leben außerhalb der Norm. Der Spiderman-Abend als kindliche Kompensation für emotionale Leere. Das Leben ist komplex und zeitweise chaotisch. Wer alles unter Kontrolle halten will, verliert das, was sich nicht kontrollieren lässt: Nähe, Zufall, Leben. Und trotzdem steht hinter jedem Büro-Perfektionisten ein Mensch mit seinen ganz privaten Bedürfnissen. Gut nur, dass er nicht sein „ganzes Selbst“ jeden Tag ins Büro bringt, wie es oftmals gefordert wird. 

„Sonovabiscz“ ist weniger eine Geschichte über einen Mann im Büro als über das Büro im Mann. Er stabilisiert ein Gleichgewicht aus Kontrolle, Angst, Formalität und dem Bedürfnis nach absoluter Sicherheit.

Kennen Sie einen ähnlichen Typus Manager? Welche Auswüchse haben Sie erlebt, wenn solche Menschen an ein Stück Macht gelangen? Wie viel „Perfektionismus“ legen Sie selbst als „Sicherheitszone“ zwischen sich selbst und Ihren Mitarbeitenden an den Tag?

Artikel erschienen am 21.10.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20228961/sonovabiscz-von-der-buerokratie-zu-spiderman

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