Fröhlich ist seit mehr als fünfzehn Jahren Divisionsleiter in der Firma RSD. Keiner weiß genau, warum Fröhlich Divisionsleiter geworden ist. Rückblickend wahrscheinlich, weil niemand sonst da war. Er war wohl gut genug. In der ersten Zeit hat er sehr unter der Belastung gelitten: Auftritte vor vielen Personen, wenig Know-how über die Steuerung einer ganzen Division, viele Entscheidungen, die an ihn herangetragen wurden.
Heute ist Fröhlich routinierter. Auftritte machen ihm keine Angst mehr. Er weiß, wie er mit der Mannschaft umgehen muss. Die Leute sind grundsätzlich dumm bis gleichgültig. Sie vertragen die Wahrheit nur in geschönten Dosen und Euphemismen. Es gibt keinen Stellenabbau, es gibt eine „selektive Personalpolitik“, mit der Effizienz im Fokus. Es bleibt alles im Wesentlichen gleich, auch wenn sich alles ändert. Man muss ab und zu mal irgendwo einsparen, aber das ist nicht weiter schlimm. Nachsatz: für ihn.
Veränderung mag Fröhlich nicht. Da muss man so viel erklären. Erklärungen sind Dinge, die einem später mal vorgehalten werden können.
Entscheidungen trifft Fröhlich lieber keine. Die Dinge entwickeln sich auch so. Entscheidungen sind Dinge, die einem später mal vorgehalten werden können.
Wenn es etwas umzusetzen gibt, dann hat Fröhlich immer jemanden zwischen sich und der Umsetzung, der notfalls die Schuld dafür bekommt. Schlechte Umsetzungen sind Dinge, die einem später mal vorgehalten werden können.
Er hat klar erkannt, dass Menschen und Organisationen in einem Konzern notwendig sind, aber leider entstehen genau dort die Probleme. Menschen machen oft nicht das, was sie tun sollen. Das versteht Fröhlich nicht. Es wäre so einfach. Organisationen sind zwar notwendig, um die Mannschaft zu sortieren, sonst ist das ganze Organisationszeugs überbewertet. Die Mannschaft weiß ohnehin, was von ihr erwartet wird. Arbeiten, oder?
Er braucht für sich keine Organisation. Er weiß, dass er der Divisionsleiter ist. In dem Kasterl gibt es auch nur Fröhlich.
Am liebsten ist es ihm, wenn er Aufträge erteilen kann, die reibungslos und ohne Aufsehen umgesetzt werden: Effizienzprogramme, Budgetcuts, Personalabbau. Er will damit nur nicht in Zusammenhang gebracht werden. Wegen dieser Auswirkungen, die einem später mal vorgehalten werden könnten.
Solange sich niemand Wichtiger aufregt, ist alles gut. Wenn irgendwo in der Organisation etwas nicht funktioniert und dadurch kaputt gegangen ist, dann ist das so. Dann hat es wo „gescheppert“. Für ihn ist das nicht weiter schlimm. Es sind genug Leute da, um es wieder zu richten. Dafür bekommen die immerhin ihr Gehalt.
Das Wichtigste ist die Steuerung der Division. Dafür bekommt Fröhlich sein Gehalt. Dafür hat er einen Bonus, der nochmals so hoch wie das Gehalt ist. Solange die KPIs, die seine Ziele definieren, im Quartal und im Jahr passen, ist alles gut. Für Fröhlich.
Ob die Division dabei den Bach hinuntergeht? Solange die Zahlen stimmen, darf man sich als Divisionsleiter nicht zu viel aufhalsen.
Learnings
Wieder einmal eine völlig überzeichnete Geschichte, mit einer Karikatur als „Antihelden“. Wenn wir auf die Person Fröhlich blicken, haben wir ein paar offensichtliche Learnings:
- Verantwortungsvermeidung als Strategie. Fröhlich hat gelernt, dass Entscheidungen Risiken bergen, vor allem das Risiko, später dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.
- Kommunikation in Euphemismen. Fröhlich „frisiert“ die Wahrheit in „geschönten Dosen“. Der Realität wird ein positives Framing verpasst. Das erzeugt Zynismus und Misstrauen, die Menschen in der Organisation sind nicht dumm. Umgekehrt schaffen solche Sprachregelungen psychologische Distanz zum Problem und dienen der Selbstentlastung.
- Entscheidungs-Delegation ohne Verantwortungsübernahme. Fröhlich installiert immer jemanden zwischen sich und der Umsetzung. Diese Pufferzone dient der Schuldvermeidung. Das verhindert echtes Leadership und führt zu einem Klima der Angst, Unsicherheit und politischem Kalkül. Kein „Skin-in-the-Game“, wie Nassim Taleb es fordert.
- Fokus auf Kennzahlen statt Wirkung. Hauptsache, die KPIs stimmen am Quartalsende. Kurzfristige Zielorientierung ersetzt langfristige Verantwortung. In Konzernen ein nicht ganz untypisches Vorgehen.
- Dysfunktionales Menschenbild. Die „Mannschaft“ ist dumm oder gleichgültig, Organisationen sind überbewertet, Hauptsache sie funktionieren. Ein derart negatives Menschenbild erzeugt systemisch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Demotivation, innere Kündigung, Entkopplung.
Fröhlich ist eine Karikatur, mit einem realen Kern. Er steht für ein System, in dem Führung zu einer Kunst des Vermeidens, der sprachlichen Umdeutung und der symbolischen Machtausübung geworden ist.
Fröhlich ist nicht das Problem, er ist ein mögliches Ergebnis, das das System hervorbringt. Nicht das einzig mögliche, aber ein mögliches.
Was erkennen wir, wenn wir durch die Systembrille darauf schauen:
- Verantwortungsdiffusion. Entscheidungen werden unklar delegiert, Rollen sind nicht sauber definiert. Das System duldet oder fördert das Abwälzen von Verantwortung.
- Fehlende Feedback- und Lernkultur. Keine Reflexion, keine Evaluation von Wirkung. Lernen ist gefährlich, weil es Fehler sichtbar macht.
- Pathologische Stabilität. Veränderung wird als Bedrohung gesehen, nicht als Entwicklung. Das System begibt sich in eine „Hyperstabilität“, notwendige kleine Veränderungen werden glattgebügelt, was in Zukunft zu einer größeren, schmerzhaften Disruption führen kann. Irgendwann explodiert der Topf, wenn man immer einen Deckel draufhält.
- Symbolisches Management. Der Fokus liegt auf Kennzahlensteuerung und dem Erzählen einer stabilen Geschichte nach außen und nicht auf der inneren Realität. Kennzahlensteuerung hat eine Berechtigung und ist unabdingbar. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend.
- Systemerhalt durch Unsichtbarkeit von Konsequenzen. „Solange sich niemand Wichtiger aufregt, ist alles gut.“ Auswirkungen auf Mitarbeitende oder langfristige Entwicklungen werden ignoriert oder externalisiert.
Will man das System verändern, muss man seine Regeln, Belohnungsmechanismen und Kommunikationskulturen verändern und nicht allein an der Person ansetzen. Menschen sind nicht schlecht, ihr Verhalten ist maßgeblich von der Struktur geprägt.
Kennen Sie ähnliche Führungskräfte (in abgeschwächter Form natürlich)? Wie fühlt es sich an, unter solch einer Führung zu arbeiten? Welche Beobachtungen haben Sie dabei gemacht, wenn Sie an die Mannschaft denken? Haben Sie vielleicht selbst schon einmal überlegt, wie Sie Verantwortung von Ihrem Schreibtisch bekommen und haben ein ähnliches Spiel gespielt?
Artikel erschienen am 15.10.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20191413/solange-die-zahlen-stimmen


