#3 – Karriere

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Folge 3.

Müllsteiner hat ein Problem. Er macht seit Jahren einen guten Job im mittleren Management der Posada GmbH. Er macht ihn gut und wird dabei kaum wahrgenommen. Das ist das Problem von Müllsteiner.

Also macht er einen mutigen Schritt. Er weiß, dass das Projekt LogPas 2.0 eines der schwierigsten Projekte in der ganzen Firma ist. Das Projekt liegt seiner Chefin Gmeinerhof schwer im Magen. Gmeinerhof musste bis jetzt nicht nur einmal den schleppenden Fortschritt vor der Geschäftsleitung erklären. Einige sagen sogar, dass Gmeinerhof angezählt wäre. Aber das sind nur einige. Müllsteiner nimmt sich ein Herz und schlägt Gmeinerhof vor, das Projekt zu übernehmen. Er wird ihr dieses Problem vom Hals schaffen. Er wird dadurch sichtbar werden. Er wird sich dadurch selbst für den nächsten Karriereschritt vorschlagen. Ganz von selbst. Allein durch seine Leistung. Gmeinerhof sagt ja.

Also stürzt sich Müllsteiner mit aller Energie auf das Projekt. Er arbeitet härter und länger als alle anderen. Er bringt das Projektteam wieder auf Schiene. Er erstellt einen realistischen Plan. Er verhandelt mit den Lieferanten neu. Er reduziert in langen Verhandlungen den Scope auf ein vernünftiges Ausmaß. Er erarbeitet mit seinem Team Alternativen. Er spart Budget. Er verkürzt Zeit. Er managt das Projekt gekonnt und erzielt dadurch tatsächlich nach nur sechs Monaten sichtbare Fortschritte. Müllsteiner ist mit sich zufrieden. Gmeinerhof auch. 

Müllsteiner präsentiert gemeinsam mit Gmeinerhof vor der Geschäftsleitung die neuen Ergebnisse. Er hat alles fest im Griff. Er kann jede Frage zur Zufriedenheit beantworten. Er brilliert.

Am Abend ruft Schusser, der Geschäftsführer, aus dem Auto seinen Controllingleiter Zahlmeister an.

Schusser: „Den Müllsteiner, den haben wir falsch eingeschätzt.“

Zahlmeister: „Seh’ ich auch so. Der hat das Ruder bei LogPas 2.0 echt herumgerissen. Chapeau.“

Schusser: „Wofür haben wir den vorgesehen?“

Zahlmeister: „Er sollte den Job von Gmeinerhof übernehmen. Das wird doch nichts mit ihr.“

Schusser: „Da lassen wir doch lieber die Gmeinerhof wo sie ist und geben dem Müllsteiner noch das KLGH-Projekt. Das steckt mindestens genauso im Argen.“

Learnings

  • Sichtbarkeit entsteht durch Top-Leistung. Dabei kann man individuell das eigene Potential aufzeigen. Müllsteiner hat diese Sichtbarkeit bekommen, aber nicht was er eigentlich wollte.
  • Proaktiv Verantwortung übernehmen birgt, realistisch betrachtet, immer Chancen und Risiken. Müllsteiner hätte auch scheitern können.
  • Das Management besetzt Positionen nicht nur nach den individuellen Leistungen, sondern optimiert das ganze System. Für Schusser ist es in Summe besser mit Gmeinerhof zu leben und Müllsteiner die nächste heiße Kartoffel aus dem Feuer holen zu lassen.
  • Neubesetzungen sind mit einem Risiko belegt. Lieber nimmt man das bekannt Unperfekte in Kauf als das unbekannte Potential. Gmeinerhofs Shortcomes sind bekannt. Es ist ein Risiko, ob Müllsteiner auf der Gmeinerhof-Position tatsächlich besser wäre. Bekannt ist, dass er schwierige Projekte retten kann.
  • Um eine Position verlassen zu können, empfiehlt es sich auf dieser Position keine große Lücke zu hinterlassen. Ein adäquater Nachfolger kann hier Abhilfe schaffen. Gmeinerhof hätte keine Lücke hinterlassen, im Gegenteil. Müllsteiner hinterlässt im Sinne der nächsten Projektrettung allerdings eine zu große Leerstelle.

Haben Sie sich schon einmal gewundert, warum Top-Leute nicht befördert werden? Waren Sie vielleicht selbst in der Situation, in der Sie auf der aktuellen Position zu gut waren und nicht weitergekommen sind? Haben Sie als Manager eine Mitarbeiterin bei einer Besetzung übergangen, weil es aus einem globalen Aspekt besser war?

Artikel erschienen am 29.01.2025 in der „Presse“: https://www.diepresse.com/19295632/karriere

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