Rainer steht im letzten Viertel seiner beruflichen Laufbahn. Ein Leben lang hat er in der gleichen Branche gearbeitet. Abzüglich der ersten Lebensjahre ein Leben lang. Die Branche hat mal sehr gut bezahlt. Die Zeiten ändern sich. Mit zunehmender Digitalisierung hat sich auch das gewandelt. Aber es gibt noch genug zu tun.
Rainers Chance kommt, als er vom Geschäftsführer eines Betriebs in Wels angesprochen wird. Der Geschäftsführer steht kurz vor der Pensionierung. Rainer bringt alles mit, um den Job in einem Jahr zu übernehmen. Was er nicht mitbringt, wird er lernen. Rainer ist nicht nur ein erfahrener Experte, der auch führen kann, sondern auch schlau genug, um sich das Fehlende im Handumdrehen anzueignen. No Problem.
Man spricht miteinander, trinkt ein, zwei, drei alkoholische Getränke. Alles im entspannten Rahmen. Am Ende schaut man sich tief in die Augen, zwinkert nicht, drückt die Hände. Der Deal ist beschlossen. Zwischen zwei Männern. Da braucht man nicht mehr als einen festen Handschlag. In einem Jahr geht der Alte raus. Er will ohnehin nicht mehr, meint er. In einem Jahr übernimmt Rainer. Wenn sich Rainer in der Zeit bewährt, wird der Alte das dem Eigentümer ganz sicher verklickern. Das ist überhaupt kein Problem. Lass die Zeit nur ein bisschen arbeiten und alles wird so passieren wie besprochen. Er will ohnehin nicht mehr, meint der Alte. Was sollen sie da schon sagen, wenn er den perfekten Nachfolger präsentiert?
Die Zeit vergeht, Rainer macht einen exzellenten Job in dem neuen Betrieb. Er baut sein Netzwerk auf, er ist gut bei den Mitarbeitenden angesehen. Klar und fair, aber auch verständnisvoll, wenn einmal was nicht so klappt. So soll ein Chef.
Der Alte sieht das mit Wohlwollen. Anfänglich. Mit vorrückender Zeit wird ihm auch klarer, was es bedeutet, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr Chef zu sein. Rainer zieht jetzt schon die Sympathien auf seine Seite. Nicht mit Absicht. Das passiert Kraft seiner Art. Der Alte verliert Ansehen. Ansehen und Respekt, der ihm immer gezollt wurde. Die Leute spüren auch, wo die Reise hingeht. Sie wünschen sich Rainer als Chef. Nicht mehr den Führungsstil aus den 60er-Jahren, der von Drohen und Schreien geprägt ist. Nicht mehr den Alten. Der Alte will zwar nicht mehr, aber so will er nicht abtreten. Er weiß sich nicht zu helfen. Sein Charakter ist geprägt von seinem alten Führungsstil. Es wird immer schlimmer. Der Alte brüllt nur mehr. Dieser Rainer nimmt ihm den gebührenden Respekt weg. Mit zunehmender Zeit nimmt sich Rainer auch immer weniger ein Blatt vor dem Mund und spricht aus, was er denkt. Viele Maßnahmen, die der Alte trifft, sind nicht gut. Sie sind nicht nachhaltig. Aber von ihm so entschieden. Wenn es dann Probleme gibt, sind alle schuld, nur nicht der Alte. Wieder Brüllen.
Der Alte spürt, dass es nicht gut läuft. Ist hilflos und zieht die Mauern hoch. Auf einmal ist seine Bürotüre zu. Er sucht die Allianz zur Leiterin des Marketings, die eine Schlange ist und nur zu bereit zu intrigieren. Sie wittert ihre Chance auf den Thron. Rainer ist unverblümt. Diplomatie ist was für Diplomaten. Politik was für Politiker. Und Intrigen was für Charakterschwein. Was soll der ganze Dreck. Das ist so unnötig wie ein drittes Bein.
Die Situation spitzt sich zu. Rainer legt was drauf. Um Klarheit zu provozieren. Fünf Monate vor der vereinbarten Übergabe macht er einen Termin mit dem Alten, um den Übergabeplan abzustimmen.
Der Alte zögert, drückt herum, kann Rainer nicht in die Augen blicken. Er weiß, dass er Rainer in den Rücken fällt. Stottert und schließlich stoßt es ihm raus, dass er noch ein Jahr dranhängt. Es müssen noch ein paar Dinge in trockene Tücher gebracht werden. Das kann nur er, der Alte. Rainer kann die Zeit auch noch gut gebrauchen. Es ist eine schwierige Zeit. Der Eigentümer würde das jetzt nicht akzeptieren. Sie müssen noch warten. Er wolle ja raus, aber …
Das Gespräch, eine Farce. Eine Ansammlung vorgeschobener Argumente, unhaltbar und trotzdem da. Der Alte kann nicht loslassen. Der Alte will nicht loslassen. Sein Egoismus ist stärker als seine Scham.
Schade, denkt sich Rainer. Egal. Er schickt noch das vorbereitete Mail mit den Koordinaten vom Alten vergrabenen Kellerleichen an den Eigentümer, kündigt in dem Gespräch und nimmt das Angebot der Konkurrenz an.
Learnings
Was sind die Learnings aus der Geschichte?
- Ein Handschlag ist kein Vertrag. Vertrauen allein reicht nicht, wenn Macht im Spiel ist. Mündliche Absprachen sind schön – aber sie schützen nicht vor politischer Feigheit oder persönlicher Schwäche.
- Loyalität muss erwidert werden. Rainer erfüllt seine Seite des Deals: Leistung, Haltung, Führung. Doch der Alte spielt das Spiel nicht mit. Loyalität, die einseitig bleibt, endet in Enttäuschung – und oft in einer Kündigung.
- Egos machen Übergaben schwierig. Je größer das Ego, desto schwerer fällt das Loslassen. Der Alte will gehen – aber nicht in der zweiten Reihe abtreten. Das Resultat: Blockade, Sabotage, Machtspiele. Nicht umsonst weiß man, dass Politiker ab sechzig mehr daran interessiert sind, was die Geschichte über sie sagen wird, als etwas Sinnvolles zu tun.
- Nicht der Beste wird Nachfolger – sondern der, den das System zulässt. Obwohl Rainer fachlich und menschlich geeignet ist, entscheidet am Ende nicht seine Kompetenz, sondern das Ego des Vorgängers. Intransparenz ersetzt Leistung.
- Klare Kommunikation schützt auch im Scheitern. Rainer erkennt das Spiel, zieht die Konsequenzen und kommuniziert sauber. Keine Dramen, keine Schlammschlacht – nur ein Abgang mit Haltung. Und einem letzten, kleinen Gegenschlag.
- Rainer zeigt, dass nicht nur das System scheitern kann, manchmal scheitert der Einzelne auch am Ego anderer. Wer mit Anstand führen will, muss wissen, wann es Zeit ist zu gehen.
Waren Sie schon mal in einer ähnlichen Rolle wie Rainer? Wie haben Sie sich gefühlt? Wie sind Sie damit umgegangen?
Oder waren Sie schon mal in der Situation, etwas zu übergeben, an dem sie emotional gehangen sind? Wie sind Sie mit Ihrem Nachfolger umgegangen?
Artikel erschienen am 09.07.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19875776/der-alte-muss-weg