Drei Jahre lang wird der Konzern FGHT AG bereits nach dem gleichen strategischen Governance-Modell gesteuert. Die Strategie definiert die strategischen Stoßrichtungen. Die strategischen Stoßrichtungen definieren alle Maßnahmen und internen Projekte, die darauf ausgerichtet sind. Jede der Maßnahmen hat einen Bezug zur Strategie. In den Steering-Meetings wird in dem dafür vorgesehenen Template besonderer Wert daraufgelegt, das sauber zu dokumentieren. Alignment, wie es sein soll. Alles transparent. Alle Beiträge werden über KPIs verfolgt. Somit ist immer klar, wer was abgeliefert hat, wer was abliefert und wer was abliefern wird. Der gesamte Konzern FGHT AG befindet sich im Magnetfeld der Strategie. Controller, Planer, Enterprise Architekten, Projektportfolioplaner sind zufrieden. Der Vorstand ohnehin.
Jedoch …
Nach drei Jahren werden die Inhalte der Strategie geändert. Ein neues strategisches Governance-Modell wird geschaffen. Eine Horde an externen Beratern und internen Planern, Controllern, Enterprise Architekten und sonstigen Adminkräften arbeitet in unzähligen Workshops den neuen Formalismus aus. Neue Templates werden generiert und neue KPIs definiert. All das wird in verschiedenen Versionen und Arbeitsständen laufend dem Vorstand vorgelegt. Der will das kennen und mitentscheiden. Immerhin geht es um die Strategie.
Das alte System bleibt vorerst noch in Kraft. Es bedarf einer Extraanstrengung, das alte und das neue System in Einklang und abgestimmt zu halten. Mächtige Überleitungs-Excelsheets werden gebastelt. Das alte System, die Überleitung und das neue System müssen von einer Heerschar an Projektleitern und Maßnahmenverantwortlichen laufend befüllt werden. Neue Reports werden generiert. Die Strategie- und Portfolioabteilung erstellt gemeinsam mit dem Controlling in vielen Terminen neue Berichte für das monatliche Strategieupdate des Vorstands, für den Quartalsworkshop und das jährliche Retrospektivenmeeting. Keine Zahl geht verloren. Jeder Inhalt, ob alt oder neu, kann erklärt werden. Alles ist transparent. Alles zu 100 Prozent nachvollziehbar. Am Ende steht das neue Governance-Modell.
Alle Maßnahmen und Projekte haben wieder den Bezug zur neuen Strategie hergestellt. Mappings wurden angepasst, KPIs adaptiert und Projektinhalte zwischen Projekten verschoben. Das Unternehmen ist wieder auf die neue Strategie ausgerichtet. Alignment, wie es sein soll. Alles transparent.
Den Mitarbeitenden in der Portfolioplanung ist klar, dass sich auf Projekt- und Maßnahmenebene genau ein Projekt im Inhalt unwesentlich geändert hat. Alles andere bleibt gleich. Alle anderen arbeiten genauso weiter wie davor. Keine Kursänderung. Lediglich neue Templates, die ausgefüllt werden.
Das zurückzuspielen, das wäre zu viel der Transparenz. So genau will, man das dann auch nicht wissen.
Learnings
Da ändert sich die Strategie und damit an der Basis gar nichts. Was können wir an der frei erfundenen Geschichte lernen:
- Veränderung ist oft nur formal – nicht inhaltlich. Obwohl ein strategischer Wechsel auf allen Ebenen prozessual und dokumentarisch vollzogen wird, bleibt operativ fast alles gleich. Nur ein Projekt ändert sich geringfügig – ein ironisches Signal, wie wenig Substanz oft hinter großen Strategiewechseln steckt. Stetig fließt der Scope. Projekte kommen, Projekte gehen. Die Inhalte bleiben die gleichen. Es ändern sich nur Projekttitel.
Echte Veränderung braucht mehr als neue KPIs und Templates – sie muss im Handeln und Verhalten der Menschen sichtbar werden. - Bürokratie ersetzt Wirkung. Das System zur Umsetzung der Strategie ist aufwändiger als die eigentliche inhaltliche Steuerung. Neue Berichte, Überleitungslogiken und Templates dienen eher der Befriedigung des Steuerungsapparats als dem Unternehmenserfolg.
Je mehr Aufwand für das System selbst betrieben wird, desto größer die Gefahr, dass das Ziel aus dem Blick gerät. - Top-Down-Strategie erzeugt Scheinalignment. Das Management glaubt an perfekte Steuerung, weil alle Reports sauber sind. Dass sich real nichts verändert hat, bleibt außen vor. Es wird auch nicht hinterfragt.
Vertrauen in Zahlen und Berichte darf nicht die kritische Auseinandersetzung mit der Realität ersetzen. Echtes Alignment zeigt sich in Handlungen, nicht in Excel. - Die Mitarbeitenden der Portfolioplanung, die das ganze Portfolio im Überblick haben, realisieren die Sinnlosigkeit, kommunizieren sie aber nicht, weil es auch keiner hören will. Die Ironie, dass nur die operativen Ebenen merken, wie sinnlos die Änderungen sind, verdeutlicht eine häufige Störung in Organisationen: Die operative Intelligenz wird nicht genutzt, sondern ignoriert. Wenn die Mitarbeitenden den Irrsinn erkennen, sollte man hinhören – nicht übergehen.
In Summe geht es um das Missverhältnis zwischen formaler Steuerung und realer Wirksamkeit. Es geht um mehr Substanz, Ehrlichkeit und Bodenhaftung im strategischen Management.
Wie wirken sich strategische Änderungen in ihrem Unternehmen auf die operative Arbeit aus? Wie machen Sie in Ihrem Kontext die Wirksamkeit eines Strategiewechsels dingfest? In welchem Verhältnis steht bei Ihnen Form und Inhalt? Was ist da wichtiger?
Artikel erschienen am 01.07.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19852066/strategiewechsel