#6 – Intuition

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Folge 6.

Klotzer hat Intuition. Zahlen, Daten, Fakten. Alles wichtig. Muss man alles analysieren und erheben lassen. Klar darstellen. Diskutierbar und entscheidbar machen. Da kann man schon eine Schar an Mitarbeitenden beauftragen und eine Zeit lang beschäftigt sein. Es geht um die Darstellung in der Form „Situation, Komplikation, Lösung“. Das hat er gelernt. Die Form ist wichtig. Den Problemraum analysieren ist wichtig. Die Komplikationen verstehen ist wichtig. Lösungen vorschlagen ist wichtig. Das ist Klotzer wichtig. 

Entscheiden? Das kann man nicht den Unterläufeln überlassen. Das ist Chefsache. Dazu braucht es jahrzehntelange Erfahrung. Die hat Klotzer. Nur Klotzer. Er hat es im Herz, im Hirn, im Bauch und im Urin.

Wenn es zur Entscheidung kommt, dann sagt nur er, wo es langgeht. Allein. Er an der Spitze. An der Spitze ist man immer allein. Er kennt den gesamten Kontext. Er kann all die vielen Parameter geistig und emotional unter einen Hut bringen. Den hat nur er auf. Den Hut.

Klotzer nimmt die schwere Bürde dieser Last auf seine Schultern. Verantwortungsbewusst. Ungeteilt. Intuitiv. Begründungsbefreit.

Wie soll man auch Intuition erklären? Vor allem Leuten, die diese nicht haben. Die armen Teufel verfügen nicht über seinen Erfahrungsschatz. Deswegen gibt es ihn. 

Er erteilt den Auftrag zur Umsetzung. Dann geht er weg. Was soll schon anderes passieren als das, was er in seiner Weisheit entschieden hat. Er kann sich das erlauben. 

Gottlob, denken alle anderen. Die Organisation ist resistent gegen die Entscheidungen von Klotzer. Die Leute haben Herz, Hirn, Bauch und Urin. Sie haben die Erfahrung, dass Klotzer bis jetzt zu 100 Prozent falsch gelegen ist. Entscheiden sich intuitiv gegen Klotzer.

Die Leute setzen das um, was ihnen am sinnvollsten erscheint. Erfolgreich. Klotzer hat noch nie nachgefragt. Seine Intuition hat einmal mehr die beste Entscheidung getroffen. Die Leute hoffen nur, dass er niemals richtig liegen wird. 

Learnings

Die Learnings aus dieser Geschichte könnten ein ganzes Buch füllen. Hier die vier wichtigsten:

  • Intuition ist gut, aber nicht immer. Klotzer glaubt an seine uneingeschränkte Unfehlbarkeit. In unbekannten Situationen ist Intuition immer sehr mit Vorsicht zu behandeln.
  • Es gibt die unterschiedlichsten Modelle, um Entscheidungen zu treffen. Sie allein zu treffen, ist nur eine Möglichkeit von vielen und meistens nicht die beste. Qualität braucht Diskussion und Widerspruch. Es ist sicher kein Fehler, sich das Repertoire an Entscheidungsmodellen zu eigen zu machen und bewusst diese eine Entscheidung zu treffen, in welchem Kontext welches Modell sinnvoll ist. 
  • Verantwortung zu delegieren ist keine Schwäche. Führung bedeutet nicht, alle Entscheidungen allein zu treffen, sondern vielmehr die Strukturen zu bauen, damit die Entscheidungen an der richtigen Stelle getroffen werden können.
  • Entscheiden und nicht mehr an der Umsetzung dranzubleiben (sogenanntes „ballistisches“ Verhalten) führt selten zu den gewünschten Ergebnissen.
  • Organisationen sind resiliente Organismen. Die Organisation funktioniert trotz der „Führung“ durch Klotzer. Das Team setzt das um, was tatsächlich Sinn ergibt – ein stiller Widerstand, der zeigt, dass Mitarbeitende oft klüger handeln als der Chef.

Wie oft ersetzen Sie anstrengendes Nachdenken, Analysieren, in den Dialog gehen und Widerstand aushalten durch eine schnelle Bauchentscheidung? 

In welchen Kontexten hätte es Ihnen rückwirkend geholfen andere Entscheidungsmodelle zu wählen?

Haben Sie auch schon mal „ballistisches“ Verhalten als Führungskraft an den Tag gelegt?

Kennen Sie eine Führungskraft wie Klotzer?

Die maßlose Überschätzung der Intuition im beruflichen Kontext kann gar nicht oft genug betont werden. Führungskräfte überschätzen sich selbst oft und halten sich für die Einzigen, die Situationen beurteilen können und das noch aus dem Bauch heraus. Das Wissen darüber, was Situationen allerdings tatsächlich erfordern, ist oftmals bei den Leuten in der Operative zuhause. Zuhören von oben ist das Mindeste, was man tun kann, wenn man nicht grundsätzlich noch weitere partizipative Ansätze zur Mitarbeiterbeteiligung etablieren will.rozesses, der auf ähnliche Weise gestartet hat? Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Was ist daraus geworden?

Artikel erschienen am 19.02.2025 in der „Presse“: https://www.diepresse.com/19377057/intuition

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