Heute ist wieder mal ein Termin mit dem Lieferanten Krakovsky. Krakovsky ist ein großer und wichtiger Lieferant. Die Zahlen des letzten Jahres waren allerdings rückläufig.
Der verantwortliche Key Accounter Fromm hat den Auftrag bekommen, die Zahlen wieder nach oben zu bringen.
Also setzt Fromm, unter Beteiligung seines Vorstands, einen Termin mit dem Vorstand des Kunden an. Einen Ex-CEO eines Marktbegleiters hat man für ein Honorar von schlappen 8 K€ ebenfalls gewinnen können. Darf er auch mal wieder vom Gut Aiderbichl des Consultings runter. Terminaufputz.
Einen Beitrag, der über das Händeschütteln hinausgeht, kann er nicht liefern.
Man braucht ein prominentes Gesicht, das die Wichtigkeit der Messages durch gravitätisches Mitbrummen zum richtigen Zeitpunkt unterstreicht.
Außerdem spielt er mit dem CTO Golf.
Eine Stunde. Das ist eine sehr lange Zeit in dieser Zusammensetzung.
Fromm sieht ein klares Problem in der IT auf der Kundenseite, das er lösen kann.
Er hat mit seiner Sales-Mannschaft und der Zuarbeit einiger unwilliger Ressourcen auf Kundenseite den Status quo und einen Lösungsvorschlag vorbereitet.
Die Zuarbeit wurde gerne von oben genehmigt, man will ja alle leben lassen. Die Leute sind ohnehin da. Sollen sie halt mehr arbeiten.
Das Meeting beginnt mit den üblichen Begrüßungsfloskeln und Händeschütteln. Der CEO auf der Kundenseite verspätet sich um zehn Minuten. Er hat Wichtigeres zu tun. Das muss demonstriert werden. Man hat sich ja ohnehin noch so viel zum Thema Golf zu erzählen, bevor auch diese Zeitspanne überbrückt ist.
Der Raum ist voll bepackt: Der Sales Director EEC auf Lieferantenseite, Key Accounter Fromm, der Lieferanten-CEO, zugeschaltet aus Frankfurt (auch er hat Wichtigeres zu tun), der Ex-CEO und fünf Experten, die die Slideshow von 27 Slides vorbereitet haben.
Ohne Titel- und Zwischenslides. Jede Slide dicht mit Text und Zahlen bepackt, nach der Style-Guideline des Lieferanten perfekt getrimmt. Auch das Logo des Kunden ist dabei.
Es geht ja um ein gemeinsames, partnerschaftliches Vorgehen. Das will demonstriert sein.
Auf der Kundenseite ist der Vorstand fast vollständig. Neben dem Vorstand sitzt der Director IT mit drei seiner Mitarbeiter, die an den Slides mitgewirkt haben. Allen ist klar, dass der Inhalt viel zu viel ist. Eine Stunde, das ist sehr wenig Zeit dafür. Allen ist auch klar, dass der Inhalt überhaupt nicht belastbar ist. Er fußt auf haltlosen, an den Haaren herbeigezogenen Annahmen. Der Business Case könnte von den Gebrüdern Grimm sein. Das sieht man den Slides aber nicht an. Die Slides sind schön.
Die Präsentation startet mit einer sehr langen Rückschau auf die langjährige Partnerschaft. Um modernes Führungsverständnis zu demonstrieren, dürfen die Experten die Inhalte in einer mehrfach geprobten Show vortragen. Fromm blickt nervös in die Runde. Es gibt ein paar interessevorheuchelnde Fragen des CEOs, der ab und zu den Kopf aus seinem iPhone hebt. An einer neuralgischen Stelle meldet sich der CEO aus Frankfurt zu Wort, um die Wichtigkeit der Message zu unterstreichen. Der Ex-CEO brummt doppelt so laut und verfällt in heftiges Nicken. Jedes Nicken: 1.000 Euro.
Für die letzten 23 Slides ist keine Zeit mehr. Alle haben einen harten Anschlag. Wie man so schön sagt. Man überspringt den Rest und geht direkt zu den Next Steps.
Das Meeting endet damit, dass zwei Detailaspekte an die Experten des Lieferanten und des Kunden zur weiteren Prüfung delegiert werden. Jeder weiß, dass das ein weiterer Monat Arbeit bedeutet. Jeder weiß, dass es dazu nie eine Wiedervorlage geben wird.
Fromm hat seinen Auftrag erfüllt. Aktionismus gezeigt. Die Kunden- und Lieferantenvorstände gehen mit Lächeln und virtuellem Händeschütteln auseinander.
Beziehungspflege erledigt. Sogar mit dem Ex-CEO werden ein paar Worte gewechselt.
Er darf jetzt so richtig strahlen. Mitbrummprämie 8 K€.
Alle sind froh, dass es vorbei ist. Alle sind zufrieden, dass sie sich wieder etwas Wichtigerem zuwenden können. Das Thema ist mindestens für ein weiteres Jahr geparkt. Budget hätte es ohnehin nicht gegeben.
Nur die Experten schwitzen noch einen weiteren Monat, bevor ihre Ergebnisse auf irgendeinem SharePoint in die Bedeutungslosigkeit diffundieren.
Aber die Experten sind ohnehin da.
Learnings
Eine Geschichte, wie sie der einen oder dem anderen vielleicht schon mal untergekommen ist und man sich insbesondere als Experte in so einem Meeting fragt: Wozu war das jetzt wieder gut? Aber ganz so einfach ist es nicht, auch dieses Meeting erfüllt eine Funktion:
- Das Meeting ist ein Ritual zur Machtdemonstration und Beziehungspflege.
Offiziell geht es um Problemlösung, tatsächlich um Statuspflege, Sichtbarkeit und das gegenseitige Bestätigen von Wichtigkeit. Die Interaktion erfüllt eine symbolische Funktion: Sie zeigt Präsenz und Kontrolle, nicht Erkenntnis. - Es produziert den Anschein von Steuerbarkeit, wo keine existiert.
Komplexität wird in Zahlen, Slides und Phrasen übersetzt, damit Unsicherheit beherrschbar scheint. Die Präsentation dient als Beruhigungsmittel für das Management, sie simuliert Rationalität und Struktur. - Verantwortung wird systematisch verdünnt.
Durch Delegation an Experten oder Folgeanalysen löst sich Verantwortlichkeit auf. Das Top-Management-System schützt sich. Es verteilt Arbeit nach unten, um keine Entscheidungen treffen zu müssen und blockiert somit Entscheidungen nach oben. - Die Struktur belohnt Aktivität statt Wirkung.
Erfolg wird an sichtbarem Aktionismus (Meetings, PowerPoints, Teilnahme) gemessen, nicht an inhaltlichen Ergebnissen. Das fördert performative Betriebsamkeit und sichert den Status Quo, ohne echte Veränderung. - Hierarchie und Angst verhindern offene Kommunikation.
Je höher die Ebene, desto stärker die Inszenierung. Inhalte werden geschönt, Kritik vermieden. Alle wissen, dass das Gesagte nicht trägt, aber das Ritual verlangt Zustimmung, nicht Wahrheit. - Die Experten werden instrumentalisiert.
Sie liefern Arbeit und Substanz, wissen aber, dass ihre Ergebnisse keine Wirkung entfalten werden. Der Umgang mit ihnen ist funktional, nicht wertschätzend: Sie dienen dem Schein von Professionalität, nicht der Erkenntnis. - Die eigentliche Funktion ist Selbstberuhigung der Organisation.
Das Meeting stabilisiert das System, indem es zeigt: „Wir sind aktiv.“ Es hält das Gleichgewicht zwischen Anspruch und Realität aufrecht. Es ist ein psychologisches Ventil, das Stillstand ermöglicht, ohne dass er als solcher empfunden wird.
In der Zusammenfassung löst das Meeting kein Problem, aber es löst Spannungen.
Es dient dem Erhalt von Macht, Kontrolle und Legitimation, während es als Kollateralschaden die eigentlichen Träger von Wissen entwertet.
Die Spielverderber-Frage am Anfang des Meetings wäre gewesen: „Wie viel Budget wurde für das Thema eigentlich eingestellt?“
Waren Sie schon mal als Experte in so einem Meeting, wo allen klar war, dass dieses Meeting in der Sache völlig vergeudete Zeit ist? Umgekehrt, setzen Sie die ritualisierende Wirkung eines solchen Meetings bewusst in Ihrem Kontext ein? Oder vielleicht auch unbewusst?
Artikel erschienen am 08.10.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20177757/sales-termin-mit-aufputz