Weiz und Kritzler können sich von Anfang an nicht riechen. Als die beiden das erste Mal in einem Projekt zusammentreffen, ist klar, dass sie ein völlig unterschiedliches Verständnis von Management haben. Weiz managt Zahlen. Mitarbeiter sind für ihn ein notwendiges Übel, die einen betrügen und hintergehen, wo immer es nur geht. Grundsätzlich faul und falsch. Kritzler ist ein naiver Gutmensch, der an das Beste im Menschen glaubt. In jedem Mitarbeiter steckt eine Blume, man muss nur gießen. Das ist sein Credo. Die beiden sind in einem gemeinsamen Projekt in leitenden Rollen eingesetzt. Ihre Diskussionen sind endlos, von gegenseitigem Misstrauen und Anschuldigungen geprägt. Wertschätzung Null. Weiz ist ein Arschloch. Kritzler ein naiver Vollpfosten.
Einige Jahre später werden die beiden Abteilungsleiter in der Technik. Die Diskussionen setzen sich nahtlos fort. Weiz managt strikt seinen Aufgabenbereich und bekommt Schulterklopfer von oben. Kritzler nicht, ist aber beliebter bei den Mitarbeitern. Also bei einigen. Als ihre gemeinsame Führungskraft von einem Tag auf den anderen das Weite sucht, wird Weiz als interimistischer Bereichsleiter nominiert. Kritzler ist auf einmal sein Mitarbeiter. Die IT ist in einer schweren Krise. Releases müssen abgesagt werden. Die Qualität ist im Keller, drittes Untergeschoss. Es geht nass rein. Es hilft nichts, die beiden müssen miteinander auskommen. Man geht auf ein Bier. Aus einem Bier werden vier. Weiz muss am nächsten Tag in den Krankenstand, Kritzler ist im Büro. Er hat wohl die bessere Eichung, der Gutmensch. Der Austausch bei einem Bier wird regelmäßig und man kommt sich persönlich näher. Nach dem dritten Biertermin, Weiz muss sich zumindest nicht mehr krankmelden, bekräftigt Kritzler seine Unterstützung für Weiz. Eine alkoholinduzierte Zweckgemeinschaft. Weiz fängt an, Kritzler zuzuhören. Nicht alles ist Blödsinn. Intrinsisch motivierte Mitarbeiter seien bessere Mitarbeiter, meint Kritzler. Wenn es hilft, denkt Weiz. Kritzler hört Weiz zu und lernt Zahlen. Zahlen helfen, Dinge transparent zu machen und konsequent Ziele zu verfolgen. Das hätte man schon früher wissen können, denkt Kritzler.
Die IT-Situation ändert sich und Weiz und Kritzler werden nach dem interimistischen Intermezzo wieder Kollegen. Ein neuer Chef kommt. Die Biertermine bleiben. Der Austausch bleibt. Das gegenseitige Lernen bleibt. Aus der Zweckgemeinschaft wird eine Freundschaft. Man hilft sich gegenseitig. Man tauscht sich aus. Man holt sich Hilfe vom anderen. Man hilft dem anderen. Selbstlos. Weiz spricht positiv über Kritzler. Kritzler spricht positiv über Weiz. Ausgesprochen ungewöhnlich in einem Konzern.
Die beiden schließen sich zusammen und führen gemeinsam neue Organisationsmethoden ein. Probieren neue Konzepte aus. Weiz ist noch immer der konsequente Manager, während Kritzler neue Impulse einbringt. Sie diskutieren viel. Konstruktiv. Gemeinsam. Ein Bild, ein Ziel, ein Weg. Weiz nimmt das positive Menschenbild von Kritzler an, Kritzler das konsequente Managen.
Nach Jahren ändert sich die Situation erneut. Eine große Restrukturierung geht durch das gesamte Unternehmen. Abbau von Belegschaft, koste es, was es wolle. Weiz geht da nicht mehr mit. Er will nicht. Er kann nicht. Sein positives Menschenbild erlaubt es nicht, die geforderten Maßnahmen umzusetzen. Er will keine Leute aus purer Gewinnsteigerung auf die Straße setzen. Er übernimmt einen Job in einer NGO.
Kritzler übernimmt die Aufgabe. Mit Hingabe verfolgt er die Personalziele. Konsequent. Herzlos. Nach Zahlen. Koste es, was es wolle. Downsizing ist jetzt sein Metier. Da ist er Meister geworden. Weiz sei Dank.
Learnings
Keine Ahnung, woher ich die Geschichte habe. Egal. Schauen wir uns an, was wir daraus lernen können:
- Gegensätze können sich positiv auswirken, sofern man bereit ist, sich darauf einzulassen.
- Krisen können ein wunderbarer Katalysator für Zusammenarbeit sein.
- Lernen kann über die verschiedensten Wege erfolgen. Mit anderen Menschen zu arbeiten und gemeinsam Probleme zu lösen, ist wahrscheinlich eine der effizientesten und nachhaltigsten Methoden. In der Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist es zusätzlich möglich, dass zwei etwas voneinander lernen.
- Alkohol kann ein Ice-Breaker sein, ist aber bei Weitem kein Fundament.
- Menschen ändern sich im Laufe der Zeit. Die wenigsten sind so lernresistent, dass sie ein ganzes Leben in der gleichen Schublade bleiben. Das ist insofern in langjährigen Arbeitsbeziehungen wichtig, um nicht bei einem alten Urteil über jemanden hängen zu bleiben.
- Führung ist keine Disziplin, die sich nur um Zahlen oder nur um die Menschen kümmert. Führung ist eine Disziplin, die permanent in den unterschiedlichsten Spannungsfeldern den Schieberegler an einer Stelle einrasten lassen muss. Es ist nie ein entweder – oder, sondern immer ein sowohl – als auch.
- Ein Unternehmen zu verlassen, weil man etwas nicht mehr mittragen will, ist ein großer, aber klarer Schritt.
Wie ist Ihr Bild über Management und Führung? Wie haben Sie sich selbst über die Zeit entwickelt? Kennen Sie Menschen, die sich markant von einer Einstellung zu einer anderen entwickelt haben? Haben diese Menschen es auch geschafft, ihre ursprüngliche Zuschreibung abzustreifen? Kennen Sie jemanden, der ein Unternehmen verlassen hat, weil er gewisse Entscheidungen nicht mehr mittragen wollte?
Artikel erschienen am 23.09.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20131637/bier-zahlen-downsizing