Fitzler ist Führungskraft. Fitzler hat immer einen roten Faden. Zumindest für sich. Für einen Zeitpunkt. Es kann schon sein, dass der rote Faden mal nicht ganz so sichtbar ist. Dann, aber nur dann, könnte sich Fitzler vorstellen, dass er für seine Mitarbeitenden unberechenbar wirkt. Die sehen halt nicht den ganzen Kontext und das ganze Bild. Wer hat schon die Zeit immer alles zu erklären.
So kann es sein, dass er in einem Jour Fixe mit seinen Mitarbeitenden das Thema Dokumentation der Arbeit mit vollem Elan strapaziert. Er steigt in die Details ein, lässt sich bis in die letzten Kleinigkeiten die Dinge zeigen. Lobt die, die es gut machen. Führt jene, die hier schluddern, vor dem Team vor. Danach definiert er eine weitere Vorgehensweise. Ein Report, besser drei, müssen gebaut werden. Im worst-case arbeiten dann fünf Leute vier Wochen an der Aufgabe. Der Report wird von Fitzler keines Blickes mehr gewürdigt. Ehrlich? Wen kümmert Dokumentation?
Alternativ kann Fitzler sein Führungsteam Entscheidungen und Umsetzungen vorhalten, die er schlichtweg nicht versteht. Wer hat den Scheiß so definiert? Den Hinweis darauf, dass er das so vor einer Woche entschieden hätte, kann er nur entschieden von sich weisen. Management-Amnesie. Die wenigsten unternehmen noch den Versuch, sich mittels Protokolls der Vorwoche zu rechtfertigen. Da geht es Fitzler nur mehr darum, im Jetzt das Beste daraus zu machen. Egal, wer das entschieden hat. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, meinte schon anno dazumal Konrad Adenauer. Das meint auch Fitzler. Das Team verdreht virtuell die Augen.
Fitzler ist Meister neuer Managementwerkzeuge. Da entsteht ein neues Backlog in einem Workflow-Tool. Eine Actionliste in Excel. Ein Board mit Post-Its in seinem Büro. Mehr oder weniger parallel. Zumindest überlappend. Fitzler ist bekannt für seine Konsequenz, die Dinge zu verfolgen, die sich selten über mehr als ein, zwei Tage erstrecken.
Er beraumt Regeltermine mit seinem Team an, um Ordnung und Kadenz in den Fluss der Arbeit zu bekommen. Er pflaumt alle an, die da nicht teilnehmen. Den Einzigen, den er nicht anpflaumt, ist er selbst. Er hat immer gute Gründe, die Termine zu spritzen und kurzfristig abzusagen. Kaffee mit einem Peer. Ein verlängertes Mittagessen mit einem Lieferanten. Die Tochter von der Schule holen. Einkaufen, schließlich war das Katzenfutter aus. Das sind auch triftige Gründe, meint Fitzler.
Fitzler hat immer gute Ideen, die sich in guten Maßnahmen für sein Team nach oben priorisieren lassen. Er ist Feuer und Flamme. Stichflamme.
Das Team hat gelernt, das nächste Wochenende abzuwarten. Danach ist das Thema meist nicht mehr auf seiner geistigen Agenda. Wer die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs hat, entdeckt hinter jeder Kurve im runden Aquarium was komplett Neues.
Natürlich ist Berechenbarkeit wichtig für die Mannschaft, das weiß auch Fitzler. Aber noch wichtiger ist Aufmerksamkeit. Jederzeit kann was passieren, auf das man instantan reagieren muss. Die Dinge müssen gelöst werden, bevor sie wieder total unwichtig werden.
Er sorgt dafür, dass die Herde fit bleibt. Immer auf den Fußballen. Immer zum Sprung bereit.
Das Team weiß das alles längst. Sie führen eine Liste mit Fitzlers Ideen mit der Bezeichnung „Radon-220.xlsx“. Radon-220 – Halbwertszeit 55 Sekunden. Genau die Zeit, die Fitzler braucht, um von seinem Büro zum Kaffeeautomaten zu gehen und sich was Neues auszudenken.
Learnings
Frei erfunden, mit vielen Inspirationen von dort und da. Was kann man daraus lernen, insbesondere als Führungskraft?
- Mitarbeitende profitieren von einer klaren, transparenten und konsequenten Linie. Die müssen sie auch kennen und idealerweise lässt sich jede Entscheidung und Handlung darauf zurückführen.
- Unüberlegtes Verteilen von Aufträgen, deren Ergebnisse sichtbar in der Rundablage landen, verschwendet nicht nur Zeit und Energie, es ist auch maximal nichtwertschätzend. Wer arbeitet schon gerne für die Tonne. Oft werden Aufträge zu schnell erteilt, ohne zu überlegen, welche Arbeit dahintersteht. Im schlimmsten Fall werden dafür wichtige Aufgaben zurückpriorisiert. Der überlegte und wertschätzende Umgang mit der Zeit anderer ist unternehmerisch gedacht und zeugt von einem Mindestmaß an Respekt.
- „Toolitis“ ist eine Krankheit, unter der manche Führungskräfte leiden. Auch hier gilt, weniger ist mehr. Eine Methode allein hat noch nie ein Problem gelöst. Die falsche Methode macht es schwieriger und viele Methoden sorgen für Verwirrung und sind Zeugnis der eigenen Inkonsequenz.
- Vorbildsein ist noch immer eines der stärksten Führungsmittel. Die eigenen Regeln brechen, während man sie von anderen einfordert, ist das Gegenteil.
- Explosionen von „guten“ Ideen erzeugt die nächste wertextrahierte Beschäftigungstherapie.
- Die Mannschaft in permanente Sprungbereitschaft zu versetzen, führt entweder zur Überlastung oder zur zynischen Abstumpfung, wie in unserem Beispiel.
- Aus dem Kontext heraus könnten sich ein paar Empfehlungen für Führungskräfte ergeben:
- Hab‘ einen Plan, begründe ihn, mach‘ ihn transparent und versuche die Entscheidungen und Handlungen konsequent darauf zurückzuführen.
- Schätze die Arbeitszeit deiner Mitarbeitenden mindestens so hoch wie deine eigene. Ziel ist es, diese Arbeitszeit für die wichtigen Aufgaben zu maximieren.
- Wenn du eine neue Idee (neue Aufgaben, Methoden, etc.) hast, schlaf‘ mindestens drei Nächte darüber. Dann schreib auf, welches Problem diese Idee konkret löst und stelle das in den Kontext aller laufenden Dinge.
- Sei Vorbild.
- Die Empfehlung für Mitarbeitende: Je nach Härtegrad geht die Strategie von „Ruhe bewahren, in sich lächeln und Neues aussitzen“ bis zur „Durchsicht der internen oder externen Stellenausschreibungen“.
Hatten Sie schon einmal eine Führungskraft, die Ideen gesprüht hat wie ein Silvesterfeuerwerk? Wie sind Sie damit umgegangen?
Haben Sie sich selbst schon das eine oder andere Mal dabei ertappt, wie Sie die Richtung in voller Fahrt um 90 Grad geändert, unter Amnesie gelitten oder den erledigten Auftrag eines Mitarbeitenden postwendend in der Rundablage verschoben haben? Welche Konsequenzen haben Sie für sich daraus gezogen?
Artikel erschienen am 03.09.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20050940/fuehren-wie-ein-goldfisch