#33 – Es geht um den Menschen

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 4 / Folge 3.

Stürmler ist Leiter der Personalabteilung in der ZGT, einem Konzern mit Sitz in Frankfurt.

Stürmler ist auch Menschenfreund. Das geht nicht immer zusammen. Nicht in seinem Kopf und nicht in seinem Herzen. 

Stürmler weiß, was seine Aufgabe ist. Die Personalabteilung hat unzählige Auszeichnungen und Zertifikate am freien Markt gekauft:

  • Top Arbeitsplatz
  • Family Friendly Company
  • LGBTQIA+ an erster Stelle
  • Natürlich auch diverse ISO-Zertifikate wie ISO 9001, ISO 30400 oder ISO TC 260/WG 7 

Das belegt ganz klar die Kompetenz des Unternehmens. Muss ja so sein. Es geht um den Menschen. So wird es firmenintern kommuniziert. Also muss es stimmen. Oder?

Mitarbeitende könnten daraus ableiten, dass es um sie geht. Um sie als Person, in ihrem Menschsein. Mit ihren Bedürfnissen, Ängsten und Hoffnungen. Der Organisation geht es um die Performance und ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg. 

Mitarbeitende fühlen sich an das Unternehmen gebunden. Und das Unternehmen? Fühlt sich das an die Mitarbeitenden gebunden? Wer oder was ist eigentlich dieses Unternehmen? Oft wird es mit schmucken Worten umschrieben: die Organisation oder das Haus. Amorphe Begriffe. Angreifbar wie eine Flatulenz im Gegenwind. Aber so wunderbar anwendbar, um in der Anonymität der Verantwortungslosigkeit abzutauchen. 

Der Satz: wir kümmern uns um die Mitarbeitenden, kann ja so unterschiedlich ausgelegt werden. Für viele bedeutet es, dass sie sich im Zuge der zur Gewinnmaximierung für die Shareholder notwendigen Mitarbeiterabbauprogramme einen Job in der Arbeitsmarktkomplementärmenge zur ZGT suchen sollen. Da kümmert sich die Organisation schon. Die Eigentümer müssen auch leben. Das ist ja kein Ponyhof.

In dieser Weise kümmert man sich um ältere Mitarbeitende. Klar leistungsorientiert, nach vorne blickend. Verdienste der Vergangenheit sind in der Vergangenheit. Der Mehrwert wurde bereits geliefert. 

Stürmler weiß um das alles. Er weiß, was kommuniziert wird, wie es ankommt und wie es eigentlich gemeint ist. Stürmler stellt sich nicht in den Wind und klärt das auf. Er fühlt sich dem Unternehmen zu sehr verbunden. Vordergründig. Aber es beschäftigt ihn. 

Er bemüht sich, dass Mitarbeitende auf Augenhöhe das Unternehmen verlassen. Mit einem finanziellen Polster. Das ist fair. Wenn sie schon keinen Job mehr haben.

Er kümmert sich mit seinen Mitarbeitenden darum, dass die entsprechenden Methoden zum Abbau für die Führungskräfte vorhanden sind. Sogenannte HR-Tools. Tool, das ist neutral. Aber wie soll es auch sonst heißen?

Stürmler weiß, was seine Aufgabe nach außen ist. Das Unternehmen in den sozialen Medien und auf den Bühnen zu präsentieren. Da hängt niemand die dreckige Wäsche raus. Posts auf LinkedIn und Auftritte auf Konferenzen über moderne Führungskonzepte, Doppelspitze, Teilzeitführung, Diversity, ESG. Employer-Branding at-its-best. Alles nicht gelogen. Aber auch …

Ein Fahrrad wird kein Sportauto, wenn man es in eine Garage stellt.

Egal. Interessiert keinen, wenn die Personalabteilung bei einem anklopft, um das berufliche Ende in der ZGT, in der man die letzten 30 Jahre gearbeitet hat, anzukündigen. Stürmler spürt das. Stürmler weiß das. So ist der Job. Er kann das nicht ausblenden und er kann es nicht lösen. Manchmal ringt er damit, manchmal nicht. 

Stürmler ist Menschenfreund und Leiter der Personalabteilung. Das geht nicht immer zusammen. Nicht in seinem Kopf und nicht in seinem Herzen. Stürmler stellt immer den Menschen in den Mittelpunkt. Nur in seinem Abbau-Excel, da geht es nicht anders, da steht er in der ersten Spalte. 

In den Vorstandspräsentationen wird daraus ein Tortendiagramm, anonym, bunt, mit Legende.

„Es geht um den Menschen“, sagt Stürmler ins Mikro. Applaus im Saal. Likes auf LinkedIn.

Am Abend, wenn er allein nach Hause fährt, schaut er in den Rückspiegel. Da sieht er sie manchmal sitzen: die Gesichter aus der ersten Spalte. Kurz. Bis er blinzelt. Dann sind sie weg.

Learnings

Ein schwieriges Thema, über das man ein ganzes Buch schreiben könnte. Hier ein paar ausgewählte Punkte zu der Geschichte:

  • Unternehmen sind Fiktionen. Das „Unternehmen“ besteht immer aus Menschen, die Entscheidungen treffen und Handlungen setzen. Mitarbeitende emotional mit Branding, Marke etc. an ein Unternehmen zu binden oder es zumindest zu versuchen, erzeugt eine Asymmetrie. Das Unternehmen ist nicht emotional an den Mitarbeitenden gebunden, das Unternehmen hat per se keine Emotionen. Was es hat, ist eine Kultur, die sich aus dem Verhalten aller, aber insbesondere der Führung, als emergentes Phänomen ergibt. 
  • Das ist keine Ehe. Aus der Angestelltenperspektive habe ich persönlich immer versucht, das Ganze als einen ungeschriebenen Vertrag zwischen dem Unternehmen und mir zu betrachten: ist die Aufgabe spannend genug, passt das Umfeld, passt das Gehalt, gib’s am Mittwoch Schnitzel, dann bleibe ich. Wenn ich nicht mehr passen sollte, und zwar aus Gründen, für die ich verantwortlich bin, aber die auch nicht in meinem Einflussgebiet liegen müssen, dann muss ich gehen. Das ist der Versuch, es so rational wie möglich zu sehen. Ich weiß, das Leben ist nicht nur rational. Aber es ist auch nicht zu hundert Prozent irrational.
  • Geld ist nicht alles, aber auch nicht nichts. Das Unternehmen der Geschichte zeigt sich mit „einem finanziellen Polster“ auf der finanziellen Seite großzügig. Das ist nicht selbstverständlich. Das kann zumindest dabei helfen, den emotionalen Schmerz, der entsteht, zu lindern. Die wahre Fairness zeigt sich allerdings im Abschied, da nicht nur im „Polster“, und schon gar nicht in Zertifikaten, aber in der Art und Weise, wie mit den Menschen umgegangen wird.
  • Die Außenwirkung. Die Menschen, die das Unternehmen verlassen, nehmen eine Botschaft mit und beeinflussen, wie das Unternehmen von außen wahrgenommen wird.
  • Die Innenwirkung. Wie mit den Menschen, die das Unternehmen verlassen müssen, umgegangen wird, ist ein immens starkes Zeichen an alle, die weiterhin im Unternehmen bleiben. Das kann man gar nicht überschätzen.
  • Außen hui, innen pfui. Gerade die Zertifikate, Konferenzauftritte, LinkedIn-Post, die primär nach außen wirken, erhöhen die Gefahr, intern Zynismus zu erzeugen, wenn die aktuelle Realität im persönlichen Kontext konträr wahrgenommen wird. Zynismus ist die letzte Schwelle vor der inneren Kündigung. Den bekommt man wenigstens noch mit, vorausgesetzt man hört zu.
  • Die Führung. Wer im System Personalverantwortung trägt, spürt die Ambivalenz zwischen Menschlichkeit und Profitlogik täglich. Der eine mehr, der andere weniger, einige gar nicht, andere quittieren den Führungsjob freiwillig.
  • Ich habe in meinem Leben nur ganz wenige Führungskräfte kennengelernt, die das komplett kaltlässt. Keiner steht in der Früh auf und sagt: „Ich freue mich auf das nächste Abbauprogramm, wo ich mich wieder von 15 Prozent trennen darf.“
  • Meine Beobachtungen beschränken sich auf das mittlere Management.
  • Eine gewisse Distanz und Rationalität sind als Selbstschutz erforderlich, um den Job machen zu können. Man diskutiert leichter anonym über Personalkosten, Anzahl Heads oder FTE (Full-Time-Equivalent), als über den Helmut in der IT, den Wolfgang im Betrieb oder die Alex in der Werkstatt. 
  • Dafür gibt es Schmerzensgeld. Dafür ist man zum Teil „Söldner“. Das muss jeder für sich entscheiden, ob er das will.
    Dem betroffenen Mitarbeitenden ist all das in der konkreten Situation egal und das darf auch so sein.

Wie gehen Sie damit um, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen müssen? 
Waren Sie selbst schon in der Situation, mit jemandem ein entsprechendes Gespräch als Führungskraft zu führen? 
Wie ist es Ihnen ergangen? 
Waren Sie selbst schon einmal Betroffene oder Betroffener? 
Wie wurde mit Ihnen umgegangen, wie haben Sie sich gefühlt, wie wären Sie gerne behandelt worden?

Artikel erschienen am 27.08.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/20031894/es-geht-um-den-menschen

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