#30 – Die Berater-Plage

Berater Plage - nix fertig: Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden
Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 3 / Folge 10.

Es ist wieder so weit in der KOL AG. Das bisherige Effizienzprogramm stockt. Die Ergebnislieferungen werden immer zäher. Kippler weiß, dass er als CEO etwas tun muss. Ignorieren geht nicht mehr. Mehr Druck geht auch nicht mehr. Was macht man in dem Fall? Man holt sich vom Aufsichtsrat das pro forma-OK, eine der großen Beratungsfirmen ins Haus zu holen. Die wissen immer was. So macht es auch Kippler.

Einige Wochen nach der Freigabe im Aufsichtsrat tanzen ein halbes Dutzend Principals, Senior- und Juniorberater der O’Sinky bei der KOL AG an. Dazu kommt noch eine Entourage an vormaligen IT-VPs und Ex-CxOs, die für spezielle Themen dazugeholt werden. Sozusagen der Geleitschutz. Die sind auch für das Stakeholdermanagement im Top-Management zuständig. Sie bespielen die CxOs der KOL AG.

Der Plan ist tough, da gibt es keine Luft dazwischen. Es gibt kein Assessment, sondern eine Rapid Assessment Phase. Es gibt keine Konzeption, sondern eine Accelerated Conception Phase. Alles in allem dauert der Einfall der Heuschrecken nicht länger als roughly six weeks. Sechs Wochen, in denen das Controlling und die Direktorenriege Zahlen und Inhalte zuliefern muss – Tag und Nacht, rund um die Uhr. Die Junior-Consultants von O’Sinky schlafen nie. Jeden Tag ein All-Nighter.

Die Qualität der gelieferten Zahlen ist grottenschlecht. Niemand hat die Controller vorgewarnt. Es war ja alles höchst geheim. Die Direktoren der Fachbereiche liefern die Maßnahmen an die O‘Sinkys, die bei ihnen schon seit Jahren in den Schubladen reifen – bisher abgelehnt vom Vorstand. Einfacher wäre es, die Inhalte selbst in die Slides der O‘Sinkys einzuarbeiten, das würde zumindest die Abschreibfehler verhindern. Aber irgendwas müssen deren Juniors auch tun. Zumindest hat man jetzt die Chance, die eigene Partitur weiterzureichen, damit sie von extern den Vorständen vorgesungen wird.

Zusätzlich erfinden die O‘Sinkys noch weitere Maßnahmen. Rechtfertigung dafür sind die Vergleiche der internen, qualitativ grottenschlechten Zahlen mit ausgesprochen undurchsichtigen Benchmarks, die man nicht weiter erklären kann. Rechtliche Gründe, man weiß schon. Wahrscheinlich vergleicht man das Gewicht von zwei Personen – nur dass der eine einen Fuß neben der Waage hat und der andere mit voller Skimontur oben steht. You can’t manage what you can’t measure. Oder so.

Die daraus abgeleiteten Maßnahmen basieren auf Business Cases, deren Annahmen auch von betrunkenen Affen getroffen hätten werden können. Ist aber egal, es aggregiert ohnehin alles in einen Euro-Wert pro Maßnahme. Harry Potter ist daneben eine Dokumentation auf ARTE.

Die mehr als oberflächlichen Erklärungen vor dem Vorstand liefert die Horde an vormaligen IT-VPs und Ex-CxOs – Großmeister des Bullshit-Bingos in Anglizismen.

Nach sechs Wochen ist der Spuk vorbei und die O‘Sinkys ziehen wieder weiter. Wahrscheinlich zum nächsten Opfer. Die Maßnahmen, die bereits intern in den Schubladen dahingegammelt sind, können jetzt durchgeführt werden. Immerhin haben es die O‘Sinkys so abgeleitet. Das kann jetzt auch CEO Kippler beruhigt dem Aufsichtsrat vorschlagen.

Die zusätzlichen Maßnahmen verdampfen am Altar der Realität noch, bevor der letzte Consultant die Tür hinter sich zugezogen hat – schneller als Spucke in der Wüste.

Alle sind zufrieden. Der Aufsichtsrat hat Bewegung gesehen. Kippler hat engagierte Aktivität demonstriert. Die Direktoren haben ihre eigenen Maßnahmen freigegeben bekommen. Lediglich die acht Millionen Beraterhonorar führen zu einem zusätzlichen Abbau von achtzig Stellen in der KOL AG. Keiner hat das Honorar am Anfang des Jahres geplant. Das muss natürlich auch eingespart werden.

Learnings

Die Geschichte ist natürlich maßlos übertrieben. Oder?

  • Berater ersetzen keine Führung. Wer als CEO nichts mehr weiß und nichts mehr durchsetzen kann, beauftragt Berater als Scheinalternative. Das Spiel ist bestens bekannt, und Hand aufs Herz: Wenn das System, das so zulässt, dann wird es auch so gespielt. Die Leute sind nicht böse, auch Vorstände nicht, aber so sind die Regeln. Die Verantwortung wird delegiert, weil es möglich ist.
  • Beratungsprojekte sind oft teuer, ineffektiv und kosmetisch: Viel Geld für Altmaßnahmen, PowerPoint-Bullshit und schillernde Anglizismen. Kosten und Output stehen in keinem Verhältnis, außer vielleicht für den Beraterbonus. Man kauft sich als Vorstand auf Kosten der Eigentümer eine teure Versicherung.
  • Organisationen missbrauchen Berater zur internen Selbstlegitimation. Interne Abteilungen nutzen die Consultants, um eigene Ideen durch die Hintertür in den Vorstand zu bringen. Was intern nie durchging, wird nun als „externe Empfehlung“ verkauft.
  • Besonders skurril wird es, wenn die Berater auf Datensammelkurs gehen, um ihre eigene Wissensbasis aufzufetten und das Ganze noch vom Kunden bezahlt bekommen.
  • Datenqualität ist zweitrangig – Hauptsache, die Show stimmt. Benchmarks sind eines der stärksten Durchsetzungsmittel. Damit kann man immer gut argumentieren: selektiv und zielgerichtet. Hauptsache, es sieht nach „harter Analyse“ aus. Die tatsächliche Anwendbarkeit im konkreten Kontext und die Qualität zählen nicht. Wir alle wissen, was Churchill zu Statistiken sagt.
  • Die Wirkung verschwindet schneller als Spucke in der Wüste. Kaum sind die Berater weg, verpufft die Umsetzung. Der Klassiker schlechthin. Es gibt keine nachhaltige Veränderung, keine Ownership, kein Commitment. Was bleibt, ist ein kollektives Aufatmen, wenn es vorbei ist. Zumindest das schafft Einigkeit.
  • Scheinbare Aktivität ersetzt echte Problemlösung. Der Aufsichtsrat sieht „Bewegung“. Der CEO demonstriert „Führung“. Die Direktoren bekommen ihre Ideen umgesetzt. 
  • Das Agent-Dilemma sorgt für zusätzliche Komplikationen. Als Berater habe ich immer zwei Ziele: das des Kunden (dessen inhaltliche Ziele) und das des Beratungsunternehmens (Geld mit dem Kunden machen). Die beiden Ziele zeigen nie in die gleiche Richtung. Also: Wem gilt die Loyalität? Dreimal Raten ist erlaubt.
  • Wann sind Berater dann hilfreich? Berater können ja grundsätzlich Mehrwert beisteuern. Wenn es um gut aufbereitete Informationen und Erfahrungen, externe Impulse zum Aufrütteln und Aufbrechen von Verkrustungen oder auch methodischen Input geht, kann es sinnvoll sein, sich jemanden von extern zu holen. Es kann aber ganz banal lediglich um Kapazität gehen, die man kurzfristig nicht intern aufbringen kann. Ob das immer die ganz Großen sein müssen, kann jeder für sich entscheiden. Je „kleiner“ der Agent, desto „kleiner“ ist wahrscheinlich auch das Agent-Dilemma.

Haben Sie schon mal erlebt, dass nach dem Abgang der Berater nichts außer PowerPoint-Dateien blieb?

Waren Sie selbst einmal Teil einer solchen Übung, und was haben Sie gemacht, um das Beste herauszuholen?

Oder haben Sie selbst schon Ihre Standpunkte von Extern erzählen lassen?

Artikel erschienen am 06.08.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19966479/die-berater-plage

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