Ödenberg sitzt auf seinem Schreibtisch. Seine drei Abteilungsleiter haben sich zum wöchentlichen Jour Fixe in seinem Eckbüro eingefunden. Maltisch fläzt sich ins Sofa und Wintersteiger lümmelt auf der Couch. Zeigen: „Das ist auch unser Revier.“ Karanis steht demonstrativ mit beiden Händen in der Tasche aus dem Fenster blickend. Simuliert damit Nachdenken.
Ödenberg legt mit einem leisen, aber gut hörbaren Ächzen einen Fuß nach dem anderen auf seinen Schreibtisch. Er hat hier die größte Last zu tragen. Eindeutig. Jour Fixe mit seinen Abteilungsleitern ist sein Lieblingstermin der Woche. Die drei sind ihm ergeben wie drei junge Jack Russel. Sie sind seine Buddys. Er ist ihr Boss. Es kann nur ein Alpha geben.
Ödenberg: „Was haben wir?“
Maltisch: „Die Idioten vom Projekt New-PAS haben wieder eine Verzögerung von drei Monaten reportet. Ich habe dort noch nie irgendwas Vernünftiges gehört. Unglaublich. Ich schlage vor, dass wir ihr Budget nochmals um 20 Prozent kürzen und dann schauen, wie sie damit umgehen. Alles Pfosten, dumm wie zehn Meter Hohlweg.“
Ödenberg grinst und nickt zustimmend. Er mag es wie Maltisch Probleme angeht. Ohne Druck passiert nichts.
Wintersteiger: „Die Typen im Marketing müssen den Produktlaunch, der Ende nächsten Monats geplant war, um weitere vier Wochen verschieben. Die IT ist das Problem. Wann ist die IT nicht das Problem? Die IT ist immer das Problem. Drecks-IT. Diesmal ist die Ausrede, dass das Hochwasser eine Serverfarm beim Lieferanten in Kroatien lahmgelegt hat. Angeblich haben sich die Daten mit dem Wasser ins Mittelmeer verabschiedet. Die sind sich wirklich nicht zu schade, alles als Begründung zu nehmen. Drecks-IT. Offensichtlich ist ihnen nicht klar, wer ihr Gehalt bezahlt.“
Ödenberg: „Lass dir das genau vorlegen. Ich möchte einen detaillierten Bericht. Morgen. Gib ihnen Gas. Wenn das auch nur ansatzweise unschlüssig ist, schnalzen wir sie mit einer Pönale. Was ist das hier, ein verdammter Einhornstall?“
Wintersteiger nickt und schmunzelt. Ödenbergs Bild über die IT ist klar. Lauter Idioten. Die finden ihren eigenen Arsch am helllichten Tag nicht.
Karanis: „Nowak aus der Automatisierung war bei mir. Er braucht eine Plattformentscheidung, um weitermachen zu können. Wenn das nicht bis Ende nächster Woche entschieden ist, dann reißen sie einen Verzug von vier Monaten auf und müssen zwei Millionen Euro Einsparungen abmelden. Sagt Nowak. Sein Favorit liegt 27 Prozent über dem Preis der beiden Mitbewerber, ca. 85.000 Euro. Angeblich können die 100 Prozent der Anforderungen erfüllen, während die anderen gerade mal so 50-60 Prozent schaffen. Sagt Nowak. Er meint, er braucht den Favoriten, sonst kann er nicht den ganzen Business Case liefern.“
Ödenberg: „Nowak trau ich so weit, wie ich ihn werfen kann. Die wollen sich wieder mal selbst verwirklichen. Goldene Wasserhähne. Wir lassen das jetzt vier Wochen abliegen wie gutes Rindfleisch, dann sind die Lieferanten weichgekocht und nehmen dann den günstigsten. Wenn Nowak nicht den ganzen Business Case liefert, kann er sich ja gerne woanders einen Job suchen. In der Kantine ist was offen. Seine Entscheidung. Liebe Grüße von mir.“
Karanis grinst breit und zeigt ein Thumbs-Up zurück. Nowaks Tage sind wohl gezählt, wenn er nicht bald seinen Arsch in die Höhe bekommt.
Projektstatusbericht Ende. Ödenberg lässt sich über die neue junge, blonde Mitarbeiterin im Accounting aus. Es war schon längstens Zeit, dass der Accountingleiter die alte, fette Qualle entfernt und die neue Tussi dafür geholt hat. Meint Ödenberg. Maltisch, Wintersteiger und Karanis grinsen breit. Danach lassen sich die vier nochmals Kaffee und Brötchen von den beiden Vorzimmerdrachen, bekannt als Castor und Pollox, bringen. Keiner der Abteilungsleiter würde wagen, das bei den beiden Sekretärinnen zu bestellen. Nur Ödenberg darf das. Maltisch, Wintersteiger und Karanis sind seine Jack Russels. Castor und Pollox seine Pitbull Terrier. Er ist ihr Boss. Es kann nur ein Alpha geben. Er hat die Füße am Tisch. Sonst keiner.
Maltisch, Wintersteiger und Karanis verlassen das Büro und marschieren mit einem leisen, devoten Nicken zu den beiden Drachen aus dem Büro. Als sie außer Hörweite sind, dreht Karanis sich zu Maltisch und Wintersteiger um.
„Ödenberg, was für ein Arschloch.“
Maltisch grinst. „Aber er bringt die Brötchen.“
Wintersteiger nickt. „Und wir apportieren.“
Learnings
Die Geschichte ist zu hundert Prozent frei erfunden und nie passiert. Also mir nicht. Und ich hoffe inständig, dass sie auch in der heutigen Zeit bar jeder Realität ist. Was sehen wir?
- Führung als Machtdemonstration: Ödenberg stellt sich als „Alpha“ dar, der mit Arroganz, Herablassung und sexistischem Gehabe sein Revier markiert. Führung ist hier nicht Dienstleistung oder Verantwortung, sondern Show und Dominanz.
Schlechte Führung erkennt man daran, dass sie sich selbst dient, nicht dem Team oder der Sache. - Druck ersetzte Führung: Das einzige Mittel, um bei den Themen zu intervenieren ist, noch mehr Druck aufzubauen. Budgetkürzung, Druck auf Personen, Druck auf Lieferanten. Man kann sich gut selbst ausmalen, wie viel Vertrauen in so einer Kultur möglich ist.
- Loyalität ersetzt Kompetenz: Die drei Abteilungsleiter sind unfähig, aber loyal und das reicht Ödenberg. Kompetenz ist unerwünscht, weil sie Hierarchien gefährden könnte.
In toxischen Kulturen zählt Gefolgschaft mehr als Qualifikation und das bremst alles. - Sündenböcke statt Verantwortung: Probleme werden sofort externalisiert: Die „Idioten“ aus dem Projekt, die „Drecks-IT“, der Nowak. Niemand übernimmt Verantwortung, jeder sucht Schuldige.
Wenn alle Schuld immer nur bei anderen liegt, bleibt echte Problemlösung aus. - Zynismus als Überlebensstrategie: Die Abteilungsleiter zeigen zum Ende hin ihre wahre Meinung über Ödenberg. Nach außen loyal, innerlich resigniert.
Zynismus entsteht dort, wo Menschen keine Integrität mehr leben dürfen. - Sexismus und Machtmissbrauch: Die abfällige Bemerkung über die neue „blonde Tussi im Accounting“ illustriert eine sexistische, entmenschlichende Unternehmenskultur.
- Eine derartige Führungskultur ist nicht nur moralisch bankrott, sondern auch organisatorisch rückständig.
Artikel erschienen am 16.07.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19897556/alles-idioten