#23 – Arbeitskreis

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 3 / Folge 3.

Die Problemstellung ist klar, die Aufgabe somit umrissen. Um die Partizipation in der Abteilung zu erhöhen, wird zur Ausarbeitung einer möglichen Problemlösung ein Arbeitskreis aus sechs Mitarbeitenden gebildet. Klauer übernimmt den inhaltlichen Lead und die Organisation des Arbeitskreises. Die anderen Mitglieder sind Schmid, Schmied, Maier, Obermayr und Vormair.

In Kalenderwoche 13 des Jahres wird der initiale Workshop des Arbeitskreises anberaumt. Man trifft sich für drei Stunden und arbeitet intensiv das Problem auf. Flipcharts werden bemalt, Whiteboards verunstaltet. Man ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Als nächster Schritt wird vereinbart, das Ergebnis asap mit der Abteilungsleitung abzustimmen – sicher ist sicher, man will ja nicht in die falsche Richtung arbeiten. Klauer übernimmt die Aufgabe, die Ergebnisse bis Kalenderwoche 14 zu konsolidieren und eine entsprechende Präsentation zu erstellen. Bevor er zur Abteilungsleitung geht, wird er die Präsentation noch im Rundlauf mit der Arbeitsgruppe abstimmen. Ziel für die Abstimmung mit der Abteilungsleitung ist Kalenderwoche 15.

Leider ist Klauer durch operative Themen eingedeckt und kommt erst in Kalenderwoche 16 dazu, sich die chaotischen Flipcharts und die Fotos der Whiteboards einzuarbeiten. Er erstellt eine Präsentation, die aber nur zwei Drittel der besprochenen Punkte enthält. An den Rest kann er sich schlichtweg nicht mehr erinnern. Das Fotoprotokoll ist unbrauchbar. Kann keiner lesen. Die Postits kleben übereinander und sind verschmiert.

Die Abstimmung im Rundlauf dauert bis Kalenderwoche 18. Erst dann kommt Feedback von den anderen Mitgliedern des Arbeitskreises. Schmid vermisst seine Punkte. Schmied findet alles okay – er hat die Datei offensichtlich nicht mal geöffnet. Maier hat Ergänzungen, die so nicht besprochen wurden. Obermayr und Vormair schlagen einen Zwischentermin vor, um die Präsentation durchzugehen. Klauer stimmt zu. Er organisiert einen gemeinsamen Termin, der aber erst in Kalenderwoche 22 zustande kommt, weil Obermayr auf Urlaub ist und Schmid danach auf Kur.

In Kalenderwoche 22 findet das zweite Meeting statt. Man braucht mehr als die erste Hälfte des Termins, um alle wieder auf denselben Wissensstand zu bringen. Danach einigt man sich tatsächlich auf ein gemeinsames Bild, das in der Präsentation festgehalten wird. Klauer ist zufrieden und kann über die Assistenz der Abteilungsleitung einen halbstündigen Termin in Kalenderwoche 24 ergattern. In Kalenderwoche 23 muss der Termin um weitere drei Wochen verschoben werden. Wichtige operative Aufgaben der Abteilungsleitung.

In Kalenderwoche 26 findet die Abstimmung mit der Abteilungsleitung statt. Alles passt so weit. Aufgabe verstanden, Problem verstanden. Man kann sich an die Ausarbeitung von Lösungsszenarien machen. Gott sei Dank.

Klauer versucht wieder einen Arbeitskreistermin zu koordinieren. Ursprünglich für Kalenderwoche 28 anberaumt, muss er wegen eines Krankenstands von Vormair nochmals um zwei Wochen verschoben werden.

In Kalenderwoche 30 trifft sich der Arbeitskreis vollständig. Fast. Vormair kann erst eine Stunde später dazustoßen, Schmid muss nach einer Stunde leider raus. Überbucht von der Abteilungsleitung wegen eines operativen Problems.

Man arbeitet vom konsolidierten Stand in der Präsentation weg. Als Vormair zum Termin dazukommt, fängt man wieder von vorne an. Am Ende kann man leider kein gemeinsames Bild erzeugen, weil Schmid früher wegmusste.

Klauer versucht einen Fortsetzungstermin zu koordinieren, scheitert aber an der Urlaubszeit. Maier hat keine Kinder und geht immer erst Anfang September für zwei Wochen auf Reisen. Schmied macht das Gleiche ab Mitte September für drei Wochen. Nächster möglicher Zeitpunkt ist Kalenderwoche 41. Der wird fixiert.

Zum vereinbarten Tag in der ersten Oktoberhälfte findet wieder ein Workshop statt. Man braucht mittlerweile fast den ganzen Termin, um alle wieder auf Schiene zu bringen. Ein Fortsetzungstermin wird noch im Meeting für Kalenderwoche 43 vereinbart. In Kalenderwoche 42 muss Obermayr das Team verlassen. Sie wurde einer neuen Aufgabe in einer anderen Abteilung zugeteilt. Hintermaier stößt neu zum Arbeitskreis. Klauer macht mit Hintermaier einen Termin zum Aufgleisen in Kalenderwoche 44. Der Arbeitskreistermin aus Kalenderwoche 43 wird auf Kalenderwoche 46 verschoben. Ohne Hintermaier ist er nicht sinnvoll.

In der zweiten Oktoberhälfte kommen wieder alle zusammen. Hintermaier bringt neue Aspekte ein, die man so vorher nicht gesehen hat. Das bedingt, den Problemraum nochmals zu öffnen. Das Bild dreht sich und muss neu mit der Abteilungsleitung abgestimmt werden. Klauer übernimmt die Aufgabe, adaptiert die Präsentation und schafft es, ohne eigenen Termin, die neuen Punkte telefonisch auf kurzem Weg mit der Abteilungsleitung abzustimmen. Unglaubliche Leistung.

»Klauer übernimmt die Aufgabe, adaptiert die Präsentation und schafft es, ohne eigenen Termin, die neuen Punkte telefonisch auf kurzem Weg mit der Abteilungsleitung abzustimmen. Unglaubliche Leistung.« 

Der Fortsetzungstermin, in dem man sich den potenziellen Lösungsszenarien widmen will, findet in Kalenderwoche 45 statt. Schmid fehlt kurzfristig, man beschließt aber trotzdem mit der Arbeit zu beginnen. Klauer übernimmt die Aufgabe, Schmid danach über die Ergebnisse zu informieren. Dazu macht er ein Meeting mit Schmid in Kalenderwoche 46. Schmid ist wieder an Bord. Klauer arbeitet bis Kalenderwoche 47 die Lösungsszenarien in die Ergebnispräsentation ein. Diesmal organisiert er gleich einen Synchronisierungstermin in Kalenderwoche 47 mit dem Arbeitskreis. Leider ist dieser zu kurz angesetzt, und man muss das Meeting nach der geplanten Stunde ohne gemeinsames Ergebnis abbrechen. Schmid war doch nicht ganz an Bord und hat seine Punkte leider nicht in den Szenarien zu 100 Prozent wiedergefunden. Da müssen sie noch nachschärfen.

Das Nachschärfen findet in Kalenderwoche 49 statt. Diesmal sind nur zum Teil alle vor Ort präsent. Hintermaier und Schmied sind im Mobile Office. Die Verbindung ist wackelig, man braucht schon zwanzig Minuten, um die Infrastruktur für das Hybrid-Meeting einzurichten. Geht halt nicht anders. Man schafft es, alle Punkte im Meeting so weit abzustimmen. Leider bekommt Hintermaier nach dem Termin noch einen Punkt von seinem Teamleiter mit auf die Agenda des Arbeitskreises, den dieser unbedingt ebenfalls berücksichtigt haben will. Eine telefonische, bilaterale Abstimmung mit Klauer macht klar, dass das nicht ohne den Arbeitskreis beschlossen werden kann. Klauer vereinbart einen Termin in Kalenderwoche 51, der aber wegen eines kurzfristig anberaumten Weihnachtspunschs abgesagt werden muss. Die Weihnachtsferien und der Jahreswechsel machen erst einen Termin in Kalenderwoche 3 des Folgejahres möglich.

Im neuen Jahr werden anfänglich Urlaubserlebnisse und Silvesterfotos ausgetauscht. Im letzten Drittel des Termins können zumindest noch grob die neuen Punkte von Hintermaier eingearbeitet werden. Es gelingt in dem Termin sogar, die Präsentation anzupassen und alle auf Stand zu bringen. Man hat ein Ergebnis.

Um alle in der Organisation mit an Bord zu holen, wird vereinbart, dass jeder Mitarbeitende – Schmid, Schmied, Maier, Hintermaier und Vormair – das Ergebnis mit ihren Teamleitern abstimmt, die das dann wiederum mit ihren Gruppenleitern abstimmen. Der Prozess dauert aufgrund von Urlauben, Kuren, Krankenständen, Semesterferien, Spitalsaufenthalten, dringenden operativen Tätigkeiten, kurzfristigen Krisen und Sondereinsätzen weitere neun Wochen. Dann ist es vollbracht. In Kalenderwoche 13, ein Jahr nach dem Start der Arbeitsgruppe, hat Klauer einen Termin mit der Abteilungsleitung anberaumt. Der sollte jetzt nur mehr eine Formsache sein. Die ganze Organisation darunter wurde abgeholt. Klauer hat seinen Job gemacht.

In Kalenderwoche 12 wechselt die bisherige Abteilungsleitung in die Konzernzentrale. Die vakante Position, so hört man, soll extern ausgeschrieben werden.

Learnings

Das Vorgehen ist maximal zeitraubend, aber nicht untypisch für große Organisationen:

  • Durch die Vielzahl an gleichzeitig laufenden Themen werden die Kalender filetiert und filetiert und filetiert.
  • Immer wieder muss bereits Beschlossenes wieder ins Gedächtnis gerufen werden.
  • Die Frage, ob das Thema überhaupt noch relevant ist, wird nie gestellt. Wie wichtig kann das Problem tatsächlich sein, wenn es über ein Jahr ungelöst bleibt?
  • Abstimmungen mit Teilen der Beteiligten führen auch nur zu Teilen des Bildes. Dann geht es wieder von vorne los.
  • Sogenannte Fotoprotokolle von Flipcharts und Postit-Orgien haben eine informative Halbwertszeit von Tagen und sind ungeeignet, Workshop-Ergebnisse nachhaltig festzuhalten.
  • Eine grobe Hochrechnung ergibt:
    • Mehr als 15 formale Meetings
    • An die 40 Stunden reine Meetingzeit. Die Zeit für die Meeting-Koordination gar nicht mitgerechnet.
    • Ineffizienzen weit über 50 Prozent
    • Durchlaufzeit: über ein Jahr 

Meine Empfehlung an dieser Stelle:

  • Ein Offsite mit allen Teilnehmern
  • Ein Moderator dazu
  • 1,5 Tage: Inhalte ausarbeiten
  • 0,5 Tag: gemeinsame Dokumentation der Ergebnisse in einer kommunikationsreifen Qualität. Direkt zur Abstimmung mit der Abteilungsleitung.
  • 0,5 Tage Vorbereitung. 16 Stunden Meetingzeit. Kaum Meetingkoordination.
  • Durchlaufzeit: 2 bis 3 Wochen

Artikel erschienen am 18.06.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19798931/arbeitskreis

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