#18 – Die Beförderung

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 2 / Folge 8.

Richard ist schon seit neunzehn Jahren Teamleiter in der Produktion. Richard weiß genau, was seine Mitarbeiter brauchen. Zuwendung, Unterstützung, Entwicklung, Wertschätzung, Liebe. Das
brauchen sie.

„Sag Richy zu mir“, sagt Richard, wenn er einen neuen Mitarbeiter begrüßt. Das schafft Nähe und Vertrautheit. Richard hat mit jedem seiner Mitarbeiter ein One-on-One von einer Stunde pro Woche, um ihnen das zu geben, was sie am meisten brauchen: seine geschätzte Zeit als
Führungskraft. Elf Stunden pro Woche investiert Richard in diese Termine. Elf Mitarbeiter hat er. Zusätzlich hat Richard mit seinem Team einen wöchentlichen, zweistündigen Jour Fixe, in dem sie die laufenden Themen besprechen und etwaige atmosphärische Störungen diskutieren können. Es muss der Raum da sein im Team, kritische Punkte ansprechen zu können. Täglich um 09:00 hat Richard mit allen Mitarbeitern ein Stand-up für dreißig Minuten, um ihnen die Gelegenheit zu
geben, sich untereinander zu koordinieren. Einmal im Monat gibt es einen Teamtag, in dem die Strategie in einem Workshop besprochen wird. Alle Mitarbeiter werden von ihm in diese hochwichtigen Fragen eingebunden. Danach gibt es ein gemeinsames, abendliches Beisammensein. Das stärkt das Teamgefüge.

Alles ist organisiert. Richard ist ein alter Hase in der Führung. Seine Mitarbeiter sind wie seine Kinder für ihn. Seine Mitarbeiter sehen in ihm den gütigen Vater, der immer für sie da ist. So fühlt es Richard.

Für jeden im Unternehmen ist klar: wenn er im Team von Richard landet, dann ist das das Abstellgleis, der vorgezogene Ruhestand, eine Sackgasse ohne Wiederkehr. Eingesogen im Staubsauger der Nichtigkeit. Richard hat noch nie einen Mitarbeiter entwickelt, dazu müsste er
kritisches Feedback geben. Das ist unmenschlich. Die Leute werden mit der Zeit schon ihr Talent entdecken. In jedem schlummert ein Großmeister. Richard hat noch nie selbst eine Entscheidung getroffen. Da bindet er immer alle ein. Alle. Von der Büromittelbeschaffung bis zur Entscheidung, in welchem Besprechungszimmer der nächste monatliche Strategieworkshop stattfinden soll.

Bei seinen Mitarbeitern heißt Richard nur „Luschi“. Der One-on-One Termin ist für viele wie der Gang zur Beichte im Alter von acht Jahren. Man muss schon was erfinden, um es erzählen zu können. Die Krankenstände an den One-on-One Terminen sind dreimal so hoch. In den Jours Fixes werden wieder, und wieder, und wieder die gleichen Themen von Luschi aufgewärmt. Kann keiner mehr hören. Alle auf Durchzug geschaltet. Sie nutzen den Termin, um Urlaube zu planen, online einzukaufen oder sich in einem Seitenchat über Luschi auszulassen. Aber selbst das wird mit der Zeit langweilig. Luschi merkt das nie. Die täglichen Stand-ups sind zum Glück online per Videocall. Da kann man sich weitgehend rausnehmen, bis man von Luschi aufgerufen wird. Einige reagieren da schon nicht mehr. Luschi hat Verständnis.

Höchststrafe sind die monatlichen Workshops zu Strategie. Die Leute arbeiten seit Jahrzehnten im gleichen, wiederkehrenden Job. Die Strategie ändert sich praktisch nie. Die besprochenen Punkte sind an Banalität nicht zu übertreffen. Die definierten Maßnahmen überleben den nächsten Tag nicht. Luschi verfolgt das nie nach. Sein Menschenbild erlaubt das nicht. Seine Mitarbeiter sind selbstorganisiert und eigenverantwortlich. Da ist das nicht notwendig. Er ist ja kein Micromanager. Bei den abendlichen Zusammenkünften fehlt immer die Hälfte der Leute aus privaten Gründen. Die andere Hälfte bleibt notgedrungen eine Stunde und zerstreut sich dann, um sich woanders ohne Luschi zu treffen. Der Typ ist so aufdringlich. So bigott. So humorbefreit. So ernsthaft.

Elf der elf Mitarbeiter sind faktisch im Boreout. In der inneren Kündigung. Gedanklich woanders. Bekommen Gehalt für Anwesenheit. Keiner hat mehr die Energie das zu ändern. Richard hat das Gravitationsfeld für die Kraftlosen geschaffen. Keiner kommt da mehr weg. Ein berufliches schwarzes Loch. Ende. Aus.

Einmal im Jahr reflektiert Richard über sein berufliches Sein. Da macht es ihn ab und zu stutzig, dass er seit neunzehn Jahren auf der gleichen Stelle sitzt und ein Produktionsteam leitet, das Zulieferer in einem der unwichtigsten Sektoren der Produktpalette ist. Jahr für Jahr denkt er darüber nach und fühlt sich von seinem Chef unverstanden. Aber damit muss man leben. Solange man nur mit sich selbst zufrieden ist.

Learnings

Die Geschichte von Richy ist eine bitterböse Satire auf gut gemeintes, aber letztlich ineffektives Führungsverhalten.

  • Richard hält sich für fürsorglich und teamorientiert, wird aber als „Luschi“ wahrgenommen. Es ist sinnvoll, die eigene Wirkung regelmäßig zu hinterfragen.
  • Gute Absichten reichen nicht. Zuwendung und Wertschätzung sind wichtig, aber ohne Klarheit und entsprechende Inhalte wirkungslos.
  • Meetings ohne echten Mehrwert führen zu Boreout. Die Dinge zu zerreden, ohne Maßnahmen zu setzen und zu verfolgen, führt zu Demotivation.
  • Entwicklung braucht klares Feedback als Orientierung.
  • Führung heißt, Verantwortung zu übernehmen. Wer jede Entscheidung im Team diskutieren will, führt nicht, sondern verwaltet.
  • Effektive Führung bedeutet nicht nur, für Harmonie zu sorgen, sondern auch Klarheit, Entwicklungsmöglichkeiten und echte Verantwortung zu bieten.

Kennen Sie eine Führungskraft, die es grundsätzlich gut meint, aber das Gegenteil erreicht? Wie viel Energie investieren Sie als Führungskraft in Harmonie, wie viel in Klarheit?

Hinterlassen Sie uns gerne Ihre Fragen, Gedanken und Anmerkungen dazu in einem persönlichen E-Mail.

Artikel erschienen am 14.05.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19672970/richy-fuehren-mit-gefuehl

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