#14 – Teambuilding

Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 2 / Folge 4.

Man muss es schon sagen dürfen: Das Team war komplett im Eck. Winkler spricht mit Klimm nicht, nachdem die beiden eine unglückliche Affäre hinter sich haben. Leider kann keiner der beiden versetzt werden. Keiner der beiden will auch versetzt werden. Jeder fühlt sich im Recht und die Personalvertretung ist dagegen. Kraus mag Söder nicht. Söder stinkt und Kraus hat eine feine Nase. Schimansky ist Misanthrop, mag niemanden. Was auf Gegenseitigkeit beruht. Der Teamleiter Fragenreich sieht sich vor einer unlösbaren Aufgabe. Sein Abteilungsleiter macht ihm regelmäßig Druck, da etwas zu tun. Wie lange will er noch warten?

Also ringt sich Fragenreich zu einem Entschluss durch. Er sucht über Wochen einen passenden externen Anbieter, der sich auf Teambuilding spezialisiert hat. Er beraumt einen Teamtag mit anschließender Übernachtung auf neutralem, externem Boden an. Alle müssen mit.

An einem grauen Montagmorgen findet sich das Team in einem Hotel im Umkreis einer Autostunde zum Arbeitsplatz um 09:00 Uhr zur besagten Veranstaltung ein. Winkler hat tiefe Augenringe und stinkt nach Restalkohol, was Kraus sofort kommentiert. Winkler verarbeite wohl noch immer die Trennung von Klimm. Klimm ist rausgeputzt wie ein Weihnachtsbaum. Söder riecht nach alten Socken. Schimansky kommt demonstrativ fünfzehn Minuten zu spät. Wortlos. Fragenreich hat Angst. Auch das riecht Kraus. Ohne Kommentar.

„Willkommen zum heutigen Teambuilding-Event!“, begrüßt sie ein externer Coach namens Steve. Einfach nur Steve, bitte. Nicht Stefan, nicht Steevie. „Heute werden wir uns gegenseitig besser kennenlernen und als Team stärker werden!“, tönt Steve ein paar Dezibel zu laut für das Kopfweh von Winkler.

Alle inklusive Fragenreich denken sich: „Aber ich kenn die anderen schon. Sind alles Idioten.“

„Ihr kennt zwar alle schon Teambuilding-Events, aber ich kann euch versprechen, dieses hier wird anders. Ganz anders!“, schreit Einfach-nur-Steve.

Augenrollen von Söder und Kraus. Winkler und Schimansky schauen ins Leere. Klimm richtet ihr eng geschnittenes T-Shirt. Das bleibt bei Steve nicht unbemerkt. Er ist definitiv Fraktion Brust. Fragenreich ist noch immer voller Fragen.

Die erste Übung heißt „Blindes Labyrinth“. Es soll das Vertrauen stärken.

Steve hat zur Vorbereitung einen Parcours mit Sesseln aufgestellt, wo ein Teilnehmer, dem die Augen verbunden werden, durch die Zurufe der anderen durchgelotst werden muss. Söder muss starten. Die anderen rufen halbmotiviert durcheinander. Schimansky nimmt stumm teil. Bis alle mal dran sind – Schimansky verweigert – dauert es rund eine Stunde. Eine Stunde, die sich wie hundert angefühlt hat.

Danach müssen sie mit Spaghetti einen Turm bauen. Die Übung scheitert mangels ernsthafter Beteiligung. Auch nachdem sie Steve mehrfach zur Zusammenarbeit auffordert. Auch nachdem Fragenreich mit unsicherem Lächeln, gute Miene heischend, als Vorbild voranschreitet.

Es folgt Seilziehen. Winkler, Söder, Schimansky verlieren gegen Klimm, Kraus, Fragenreich. Fragenreich ist der Einzige, der wirklich zieht. Danach ein Eierlauf, bei dem drei Dutzend Eier zu Bruch gehen. Söder stinkt jetzt nach faulen Eiern. Kaum wer gibt sich Mühe. Bau einer menschlichen Pyramide, der nach einer halben Stunde ergebnislos abgebrochen wird. In Summe alles spannend wie ein tausendjähriger Waldspaziergang. Fragenreich hat noch immer keine Antworten.

Am Ende des Tages brüllt Steve seine vorbereitete Motivationsansprache über Team, Zusammengehörigkeit, Gemeinschaftsgefühl und Zielverfolgung unter schwierigen Umständen ab. Fragenreich nickt zustimmend. Wiederholt in seiner Ansprache die Punkte von Steve.

Danach gibt es noch zwei Stunden Zeit zur persönlichen Verfügung. Irgendwann muss man ja die E-Mails machen.

Am Abend trifft man sich an der Hotelbar. Niemand sonst ist im Hotel, man ist unter sich. Steve nimmt nicht an der Abendveranstaltung teil. Diese Zeit gehöre nur dem Team, sagt er.

Die Gespräche entwickeln sich anfänglich schleppend. Fragenreich bestellt eine Runde Gin Tonic. Warm-up. One for the Team. Nach der ersten Runde sind sich alle über die Schwachsinnigkeit der heutigen Übungen einig. Wie soll das ein Team formen? Beim dritten Gin Tonic ist man sich einig, dass Fragenreich seinen Namen zu Recht verdient und keine Führungskraft ist. Fragenreich hat schon schwere Schlagseite. Kann dem nur nickend zustimmen. Er fühlt sich genauso. Unfähig. Er trinkt sonst nie was. Es fehlen ihm schon einige Buchstaben in den Worten. Besser nur noch zustimmend gestikulieren und brummen. Schimansky schlürft am Gin Tonic.

Bei der fünften Runde kommt es vor den Augen aller zu einer emotionalen, tränenreichen Aussprache zwischen Winkler und Klimm. Man wollte nicht, dass es so weit gekommen ist. Auch wenn man kein Liebespaar mehr sei (ohnehin besser, Winkler ist verheiratet), könne man trotzdem als Kollegen konstruktiv zusammenarbeiten. So Winkler, so Klimm. Man fällt sich in die Arme. Schimansky schlürft am Gin Tonic.

Kraus hat am Tisch, abseits der anderen, eine intensive Aussprache mit Söder. Sicherheitshalber lehnen sie schon leicht aneinander. Stabilisierende Maßnahme. Es sind nur Gesprächsfetzen zu hören, die darauf hinweisen, dass es Kraus leidtue und Söder regelmäßige Deo-Nutzung und frisches Gewand versprach. Fragenreich folgt seinem Sprachzentrum nach, das schon vor einer Stunde aufgegeben hat, schläft in einem Ohrensessel, mit dem Kopf im Nacken und schnarcht wie ein Elch.

Um 02:43 verziehen sich Winkler und Klimm gemeinsam, um den Abschied als Paar noch einmal zu bekräftigen. Ein Zimmer umsonst gebucht. Fragenreich wird um 02:53 von Kraus und Söder gestützt ins Bett gebracht. Steif wie ein Brett. Die Lederallergie mit Kopfweh und Übelkeit am nächsten Tag ist ihm sicher, nachdem man ihm die Schuhe anlässt.

Schimansky schlürft den letzten Gin Tonic, verlässt die Bar und klopft leise an der Tür von Steve. Dort, hat ihr Steve vertrauensvoll untertags ins Ohr geraunt, kann sie sich zu jeder Tages- und Nachtzeit ganz spezielle verkrampfungslösende Übungen mit Tiefgang abholen.

Am nächsten Tag beim Frühstück sind alle gut drauf. Winkler und Klimm lächeln sich versonnen zu. Kraus und Söder sind ein Herz und eine Seele. Schimansky fühlt sich richtig gut. Es rennt der Schmäh. Man ist sich einig, dass der Vortag komplett verkackt war. Zumindest tagsüber. Der Abend hingegen war genial. Zusammengeschweißt. Fragenreich hat endlich seine Antwort bekommen. Jetzt muss er nur noch aufwachen.

Learnings

Eine absurde Geschichte, die so nie stattfinden würde. Was können wir mitnehmen?

  • Zusammenarbeit lässt sich nicht durch Spaghetti-Türme und Eierlauf erzwingen. Das mag vielleicht zum initialen Kennenlernen ganz nett sein, aber auch da wird es geteilte Meinungen geben. Oftmals sind die Übungen an der Grenze der Peinlichkeit oder, noch schlimmer, lassen einzelne Teilnehmer schlecht aussehen.
  • Ein externer Coach a là Einfach-nur-Steve sind Projektionsflächen naiver Hoffnung. Fragenreich delegiert sein Problem an Steve und hofft, dass der das in einem Event richten wird, was er nicht schafft. Die einzelnen, bilateralen Konflikte im Team müssen auch unter den einzelnen Konfliktteilnehmern gelöst und durch die Führungskraft moderiert werden. Das kann man nicht auf ein allgemeines Teambuilding auslagern. 
  • Der vordergründige Game-Changer heißt Gin-Tonic. Natürlich ist es kein Allheilmittel, die Leute unter Drogen zu setzen. Das soll hier nicht das Learning sein. Es würde all jene ausschließen, die keinen Alkohol trinken. Sinnbildlich geht es darum, ab und zu eine gelöste und ungezwungene Atmosphäre zu schaffen, in der Leute miteinander reden können. Das passiert im Kleinen in der Kaffeeküche, in Zeiten von Mobile-Working aber immer weniger.  Großartige Übungen und externe Begleitung sind dazu nicht notwendig.
  • Eben durch das Nicht-Funktionieren des geplanten Teambuildings funktioniert es ironischerweise doch, weil dadurch ein gemeinsames „Feindbild“ entsteht, das alle dahinter vereinigt. 
  • Echte Zusammenarbeit entsteht durch echte Zusammenarbeit im operativen Tagesgeschäft. Hier entstehen genug Möglichkeiten, sich in dem Kontext kennen und schätzen zu lernen. Man muss sie als Führungskraft nur zu nutzen wissen.

Waren Sie schon mal bei einem ähnlichen Teambuilding dabei? Wie haben Sie sich gefühlt?

Was tun Sie, um die Stimmung in Ihrem Team zu adressieren? 

Was tun Sie, um einzelne bilaterale Konflikte zu adressieren?

Hinterlassen Sie uns gerne Ihre Fragen, Gedanken und Anmerkungen dazu in einem persönlichen E-Mail.

Artikel erschienen am 15.04.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19579233/teambuilding

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