So sind Männer, singt schon Herbert Grönemeyer, einfach unersetzlich. So ist Guggenberger. Ein Mann und unersetzlich. Guggenberger ist seit vierzig Jahren im Unternehmen. Immer im gleichen Bereich der IT. Ein Mann – ein Inventarpickerl. Guggenberger beherrscht im wahrsten Sinn des Wortes die Domäne. Wenn jemand etwas Neues in seinem Umfeld einbauen will, eine neue Funktion, ein neues Feature, dann geht er zu Guggenberger und holt sich das OK. Wenn der Laden wieder mal steht, dann ist es Guggenberger der geholt wird. Egal an welchem Tag, egal zu welcher Tageszeit. Guggenberger richtet es. Es gibt niemand anderen. Nur ihn. Guggenberger überwacht 143 verschiedene Applikationen in seinem Umfeld. Er braucht keine Jobautomatisierungen, er macht das selbst. Er weiß besser als die Maschine, was wann zu laufen hat. Das lässt er sich nicht nehmen.
Guggenberger ist nie krank, zumindest nicht so, dass er nicht noch seinen Laptop im Bett aufklappen könnte. Er ist immer erreichbar. 24/7/365. Im Urlaub, am Strand, auf der Piste, in der Schirmbar. Als er sich einmal beim Skifahren den Unterschenkel bricht, startet er die Jobs bis kurz vor seinen Operationstermin vom Krankenbett aus. Danach arbeitet er aus dem Krankenstand.
Selbst der VP IT hat Angst davor, wenn Guggenberger mal nicht sein sollte. Unter Guggenberger haben schon viele VP IT gedient.
Der Moment naht, Guggenberger muss in den Ruhestand. Muss – nicht will. Aber den Konzernrichtlinien kann sich nicht mal ein Guggenberger entziehen. Geschweige denn ein vergleichsweise unwichtiger VP IT.
Es findet sich niemand, der die Aufgaben von Guggenberger nur ansatzweise übernehmen könnte. Es findet sich nicht mal wer, der das will. Wie soll man in derartige riesige Fußstapfen treten können. Ein Zwölfjähriger in den Schuhen von Shaquille O’Neal?
Die Übernahme im Vorfeld des Ausscheidens zieht sich hin und zeigt kaum Fortschritte. Alles ist in Guggenbergers Kopf, nichts ist dokumentiert. Guggenberger weigert sich, die Dinge aufzuschreiben. Wer ist er? Stephen King? Kaum etwas ist tatsächlich übergeben, als Guggenberger das letzte Mal die Bürotür hinter sich schließt. Er ist jetzt nicht mehr erreichbar, sein Handy hat er zurückgeben müssen. Auch Guggenberger hat genug. Er wollte nicht gehen. Sollen sie sehen, wo sie bleiben. Lediglich einem Kollegen hinterlässt er seine neuen Kontaktdaten. Das war’s. Insgeheim hofft er weiterhin auf Anrufe über diese Notfalls-Line, hofft weiterhin als Retter geholt zu werden.
Am Tag X+1 setzen sich zwei neue, junge Mitarbeiter für eine Woche an die Materie. Sie kennen Guggenberger nicht. Sie automatisieren 67 Prozent seiner Jobs. 12 Prozent werden ohne Probleme an eine andere Mitarbeiterin übergeben. Die verbleibenden 21 Prozent werden ersatzlos gestrichen. Alles läuft wie am Schnürchen.
Learnings
Die Learnings aus dieser Geschichte könnten ein ganzes Buch füllen. Hier die sechs wichtigsten:
- Niemand ist unersetzlich. Wenn es so scheint, dann handelt es sich um ein strukturelles Versagen, das adressiert werden muss.
- Es ist die Angst des Managements in ein funktionierendes System einzugreifen und grundsätzlich etwas zu ändern. Wozu auch, wenn alles läuft.
- Es ist auch nicht falsch, denn wie wir sehen, entsteht beim Abgang Guggenbergers kein wirklich großes Problem.
- Allerdings kommen junge Mitarbeiter nicht ans Licht und werden um eine Chance, sich zu beweisen, betrogen und potenzielle Effizienzen bleiben liegen. Vielleicht hätte Guggenberger mit seiner Kompetenz auch in einer anderen Domäne reüssiert, wenn er ein paar Aufgaben abgegeben hätte.
- Wer seine Befriedigung allein aus dem Job zieht, wird auf lange Sicht auch nicht glücklich sein. Das Umfeld von Guggenberger hat wahrscheinlich darunter zu leiden.
- Jedes Problem ist eine Chance auf positive Veränderung, wenn sich das System neu ausrichten muss. Die Störung ist in dem Fall positiv.
Welche Erfahrungen haben Sie mit „Eichen“ in Ihrem Umfeld gemacht? Haben Sie in Ihrem Verantwortungsbereich einen oder mehrere dieser „Keyplayer“? Was tun Sie dafür, dass die Situation aufgelöst wird? Sind Sie vielleicht selbst eine „Eiche“?h noch weitere partizipative Ansätze zur Mitarbeiterbeteiligung etablieren will.rozesses, der auf ähnliche Weise gestartet hat? Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Was ist daraus geworden?
Artikel erschienen am 19.02.2025 in der „Presse“: https://www.diepresse.com/19403022/unersetzlich