#31 – Die Strategiepräsentation

Die Strategiepräsentation: Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden
Thomas Pisar – satirisch – über Führen und Geführtwerden. Staffel 4 / Folge 1.

Endlich steht sie: die neue Strategie. Das Führungsteam der VVG hat nach einem mehrwöchigen Strategieprozess mit externer Begleitung die Strategie aktualisiert. Neuer Inhalt, neue Aufbereitung. Für die Visualisierung in PowerPoint wurde auch nochmals extra tief in die Börse gegriffen und eine eigene Agentur beauftragt.

Jetzt sind alle Führungskräfte der VVG in einem Townhall-Meeting eingeladen, um die neue Strategie kennenzulernen. Der CEO Matacek führt gewohnt professionell durch die Slides. Smooth and smart. Peter Unterguggerhuber, Chef der internen Kommunikation, moderiert persönlich durch das Meeting. Strategie ist Chefsache.

Matacek geht auf die Bühne und zählt stumm bis drei, dann hebt der erste, Ingo B., Gruppenleiter im Sales, die Hand. Matacek atmet leise in sich hinein. Den ersten hat er schon mal richtig: Ingo B. Es ist immer Ingo B.

„Haben wir hier den Kunden auch im Fokus?“ Matacek beantwortet die Frage, brav und ruhig. Sie kam so unerwartet wie Blähungen nach einem Bohnengulasch.

Matacek zählt wieder leise bis drei, dann hebt Agatha R. die Hand. Zweiter Treffer für Matacek. Er kennt die Dame nur aus diesen Meetings. Kommt irgendwo aus der HR, Team- oder Gruppenleiterin für irgendwas für sie Wichtiges.

„Wie wollen wir dafür die Ressourcen sicherstellen?“ Wieder beantwortet Matacek die Frage, brav und ruhig. Bohnengulasch → Blähungen.

K. Anasta hebt die Hand, bevor Matacek bei zwei ist. Teamleiterin im Accounting, glaubt er sich zu erinnern. K. Anasta hat viel Luft und erzählt eine lange Geschichte, was in den Tiefen des Accountings nicht funktioniert. Absolut kein Bezug zu der vorgestellten Strategie. Flughöhe: 2 cm über dem Erdboden. Matacek rollt virtuell mit den Augen und stellt sich vor, wie K. Anasta plötzlich mit ihrem Sessel vom Erdboden verschluckt wird. So, als ob sie nie da gewesen wäre. Matacek formuliert eine Nicht-Antwort auf die Nicht-Frage. Bis jetzt ist er drei aus drei.

Er wechselt von der linken Seite der Bühne auf die rechte, weil er vermutet, dass von dort die nächste Frage kommen wird. Vier aus vier. S. Kruil, Teamleiter in der IT.

„Wie behalten wir hier den Fokus?“ Matacek spult die im Kopf vorbereitete Antwort ab. Die nächste Frage, die so überraschend war wie ein kurzer Regenschauer in Irland im November.

Die nächste Frage kommt von Z. Bauer, Gruppenleiter im Marketing.

„Wie holen wir hier die Mitarbeiter ab?“ Gedanklich schreibt Matacek dem HR-Chef einen Namen auf die Abbauliste. In sich hinein formuliert er: „Das ist genau deine Aufgabe, du Pfosten. Was glaubst du, warum du Führungskraft bist?“ Um zumindest ein Mindestmaß an Missbilligung zum Ausdruck zu bringen, beantwortet Matacek die Frage im Wegdrehen. Er wechselt mit der Bewegung die Bühnenseite und blickt eine Zeit ins Leere.

Klar, die hat auch noch gefehlt, diese Lady mit dem strengen Haarschnitt und einem Gesicht, das seit der Firmung nicht mehr gelacht hat. Der Inbegriff der Ernsthaftigkeit. Namen und Funktion hat er vergessen. Sitzt aber in diesen Meetings immer ganz am Rand in der zweiten Reihe.

„Haben wir das schon genug verstanden? Ist das disruptiv genug?“

Matacek hat auch hier eine vorbereitete Antwort, die er, ohne viel nachzudenken absondert.

Gedanklich fehlt ihm noch eine Frage, und hier ist sie schon: gestellt von dem Typen aus dem Controlling, der das Monatsreporting verantwortet. Klaus oder Kevin oder wie der Kerl heißt.

„Wie messen wir den Erfolg?“ Matacek erwähnt grob die entsprechenden Kennzahlen. Was glaubt der Komiker eigentlich? Dass sie das erste Mal eine Strategie machen?

Peter Unterguggerhuber moderiert gekonnt die Veranstaltung zu Ende. Matacek ist zufrieden. Gedanklich hat er seine Liste an Fragen abgehakt. Keine Überraschungen, nichts Neues. Treffer. Versenkt. Und da fragen sich die Leute, warum sie immer nur Bullshit-Bingo-Antworten bekommen, wenn sie nur Bullshit-Bingo-Fragen stellen.

Learnings

Wer in einem größeren Unternehmen arbeitet, kennt wahrscheinlich Geschichten wie diese. Die Strategiepräsentation als Ritual.

  • Rituale ersetzen echte Diskussion
    Die Q&A am Ende ist ein fest eingeplanter Programmpunkt. Es wirkt wie ein Pflichtakt, den alle kennen und in dem sich alle Beteiligten nach Drehbuch verhalten. Der Ablauf ist vorhersehbar und verhindert, dass echte, spontane oder kritische Diskussionen entstehen.
  • Die immer gleichen Fragesteller dominieren
    Es sind stets dieselben Personen, die sich zu Wort melden. Sie sind berechenbar und der CEO kann ihre Fragen antizipieren. Dadurch gibt es keinen Raum für neue Stimmen oder frische Perspektiven.
  • Fragen dienen oft der Selbstdarstellung
    Viele Fragen scheinen weniger dazu gedacht, die Strategie zu klären, sondern um Präsenz zu zeigen oder persönliche Agenden zu transportieren. Damit verliert das Format seinen inhaltlichen Wert.
  • Bullshit-Fragen führen zu Bullshit-Antworten
    Oberflächliche, generische oder völlig themenfremde Fragen provozieren ebenso nichtssagende Antworten. Wer keine Substanz fragt, bekommt auch keine Substanz geliefert.
  • Verpasste Chance für Engagement
    Statt die Veranstaltung zu nutzen, um Führungskräfte für die Umsetzung zu gewinnen, wird ein Ritual abgespult. Das schwächt die Wirkung der gesamten Strategiekommunikation.
  • Der CEO ist im Verteidigungsmodus
    Die Antworten sind routiniert, vorbereitet und meist diplomatisch. Es geht mehr darum, Konflikte zu vermeiden, als um offene, ehrliche Auseinandersetzung mit den Inhalten. 

Haben Sie schon mal eine Frage gestellt, nur damit Ihr Name in der Runde fällt?

Oder eine Frage gehört, die so allgemein war, dass sie auf jedes Thema der letzten fünf Jahre gepasst hätte?

Haben Sie schon mal bemerkt, dass eine Diskussion nur geführt wird, um das Protokoll zu füllen?

Wie oft haben Sie schon innerlich Bullshit-Bingo gespielt, während andere diskutiert haben?

Artikel erschienen am 12.08.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19987663/die-strategiepraesentation

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