Herzog ist jung. Er ist engagiert. Er ist schlau. Er kommt von einem großen Beratungshaus mit wenigen Buchstaben. Er weiß, wie man Sachen anpackt. Er hat Energie. Gute Energie.
Herzog ist der neu ernannter Business Development Lead in der KUM AG, einer international agierenden Aktiengesellschaft mit Sitz in Linz. Die KUM AG ist in einer Holding und in vier weitgehend unabhängigen Landesgesellschaften in Europa organisiert. Herzog hat die Aufgabe ein neues Geschäftsfeld innerhalb der Firma hochzuziehen. Länderübergreifend. Innerhalb der Holding. Viele Stakeholder. Man kann schon sagen: kein Kindergeburtstag.
Der strategische Sponsor dazu ist der CEO der Holding (=eins). Der hat dazu vier Leute aus den Senior Leadershipteams der Länder als die operativen Sponsoren nominiert (eins + vier = fünf). Die wiederum haben jeweils eine Person ihres Stabes als Auftraggeber abgestellt (fünf + vier = neun). Die Auftraggeber wiederum haben jeweils ein Team von zwei Leuten, einer aus Business, einer aus der Technik zur operativen Steuerung entsandt (neun + acht = siebzehn). Die Architektur der Holding und der Länder ist mit jeweils einer Person vertreten (siebzehn + eins + vier = zweiundzwanzig). Es gibt in Summe sechs Streams in dem Unterfangen. Jeder Stream hat einen Streamlead (zweiundzwanzig + sechs = achtundzwanzig). Jeder Streamlead hat wiederum ein Team von in Summe elf Mitarbeitern (achtundzwanzig + elf = neununddreißig). Controlling und Einkauf sind mit in Summe drei Personen im Spiel (neununddreißig + drei = zweiundvierzig).
Herzog blickt auf die Steeringstruktur. Er braucht allein zwei Personen, um all diese Menschen laufend zu bespielen. Eine weitere mit der er das Thema strukturiert (zweiundvierzig + eins + zwei + eins = sechsundvierzig). Vergleichsweise wenig zum Rest. Micky Maus. Sechsundvierzig Personen, von denen keiner wirklich etwas arbeitet. Governance. Steering. Abholen. Abgeholt werden. Wichtig sein. Reinreden.
Tatsächlich arbeiten sechs interne Mitarbeitende und zwei externe Berater an dem Thema. Diese acht Personen erzeugen Ergebnisse. Mehrwert liefernde Ergebnisse. Diese acht. Sonst niemand. Verhältnis Keine-Ergebnisse-liefern zu Ergebnisse-liefern: sechsundvierzig zu acht.
Herzog hat das Ganze auf einer Powerpoint-Slide vor seinen Augen liegen. Er seufzt. Blaguss-Bus-Organisation. Den Blaguss-Bus braucht es, um alle Personen an einen Ort zu karren. Definitiv kein Kindergeburtstag. Dafür sind viel zu viele auf der Einladungsliste.
Learnings
So ist das mit großen Themen in großen Organisationen.
- Diese großen Strukturen wollen auch bedient werden, ansonst droht Widerstand von „wichtigen“ Personen, die sich nicht wertgeschätzt fühlen.
- Das eigentliche Thema bekommt relativ wenig Energie im Vergleich zu der Energie, die aufgebracht wird, um sicherzustellen, dass das Thema auch gut für die eigenen Interessen genutzt werden kann und wie man am besten die Erfolge für sich selbst reklamieren kann. Ohne viel beizutragen.
- Alignment, Statusberichte, Planungsmeetings, ständige Abstimmungen in alle Himmelsrichtungen, klären von Zuständigkeiten, die ohnehin nicht wahrgenommen werden, saugt Aufmerksamkeit. Aber wirklich schlimm wird es, wenn sich diese Strukturen in die tatsächliche inhaltliche Arbeit einmischen.
- FOMO – man stelle sich vor, man wird zu einem Steering nicht eingeladen. Was wäre das für ein Zeichen über die eigene Wichtigkeit?
- Letztlich ist der Beitrag der ganzen Organisation auf den Erfolg des Business Developments im homöopathischen Bereich.
Kennen Sie Projekte und Unterfangen, wo die Steering-Struktur größer ist als die Anzahl der Mitarbeitenden, die tatsächlich etwas liefern?
Zu welchen Strukturen werden sie aufgrund ihrer Organisation gezwungen, wenn es um Umsetzung größerer Themen geht?
Artikel erschienen am 04.06.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19750803/strukturwahnsinn