Am Dienstag um 09:00 startet der allwöchentliche COO Jour fixe. Die beiden Direktoren Kitzler und Sprotzer sind schon fünf Minuten vor Beginn da und lungern gut sichtbar im Vorstandsbereich herum. Sie lassen sich von der Assistenz einen Kaffee bringen und demonstrieren den Vorstandsmitgliedern, die gerade in ihre Büros eintreffen, gnadenlose Anwesenheit. Facewashing.
Die Direktoren Strotter, Potter und die Direktorin Kotter sind genau zum Beginn da. Sie demonstrieren gnadenlose Effizienz, haben davor bereits einen Termin absolviert. Lichtenberger hat die Agenda fest im Griff und lädt die ersten Gäste, die einen Projektstatusbericht abliefern, per Videocall ein. Das Equipment spinnt wie immer, und es dauert fünf Minuten, bis man zumindest die virtuellen Gäste hört. Sehen wäre schon zu viel verlangt. Selbst wird nichts aus dem Raum übertragen. Sie reden in die Leere.
Der Bericht aus dem Projekt interessiert niemanden. Den kennen alle, die es betrifft, ohnehin schon. Er ist im Vorfeld dreimal abgestimmt, geschönt und behübscht worden. Außen grün, innen rot – klassische Wassermelone. Die COO als Adressatin der Botschaft kommt wegen eines Staus auf der Autobahn zehn Minuten zu spät. Als sie eintrifft, muss alles wieder von vorne erzählt werden. Man hat aus Effizienzgründen pünktlich begonnen und demonstriert, dass man auch als COO-Führungsteam ohne COO handlungsfähig wäre. Beinahe. Als der Bericht fast fertig ist, trifft Direktorin Achtermeier ein – wie immer fünfzehn Minuten zu spät. Sie hört noch gerade so viel, dass sie ein paar unnötige Fragen stellen kann. Das demonstriert gnadenloses Engagement. Die COO interessiert der Report genauso wie der Wetterbericht vom vorigen Montag. Sie weiß auch, dass sie hier grünes Obst serviert bekommt. Sie kann nebenbei ein paar E-Mails beantworten. Nach zwanzig Minuten ist das Schauspiel vorbei. Abgang Projektstatusbericht.
Auftritt Skillentwicklung. Es wird über die laufenden Maßnahmen für die Mannschaft berichtet. Die Vortragende ist die zuständige Abteilungsleiterin, die noch nie einen Handgriff in dem Thema selbst gemacht hat. Den Vortrag hat sie zur Chefinnensache erklärt. Da redet nur sie. Immerhin berichtet sie an einen Vorstand. Die Slides sind spannend wie ein achtstündiger französischer Experimentalfilm mit finnischen Untertiteln. Die Hälfte der Direktorinnen und Direktoren holt sich einen weiteren Kaffee, die andere Hälfte lässt sich in einem Chat, der neben dem Meeting läuft, über die Vortragende aus. Am Ende sieht die COO von ihrem Laptop auf, wo sie die Flüge für den Familienurlaub geplant hat, und würdigt die wertvolle Arbeit. Abgang Skillentwicklung.
Nächster Agenda Punkt sind die Personal- und Budgetzahlen. Das ist jetzt mal ein Thema, wo alle Luft holen, um sich aufzuplustern. Sessel werden gerückt, Mundwinkel wandern nach unten, Nasenflügel gebläht, man strafft sich – es wird ernst. Es wird gnadenlose Stärke demonstriert. Jeder aus der Direktorenrunde ist auf magaziniert wie Sylvester Stallone in Rambo III. Ihre Stäbe haben exzellente Vorbereitung geleistet. Jeder ist bis ins kleinste Detail auskunftsfähig und kann Wissen demonstrieren. Das ist wichtig. Man kennt seine Zahlen. Damit kann man erklären, dass keine einzige Einsparung möglich ist – außer, wenn die COO verantworten will, dass alles, aber wirklich alles, in der Sekunde den Bach hinuntergeht. Man geht nicht mit einem Messer zu einer Schießerei. Das Spiel ist bei allen bestens bekannt, wird aber trotzdem immer so gespielt. Eine stille Übereinkunft.
Der Controller verkündet, dass die Kosten 7,3 Prozent über dem Budget liegen. Die notwendigen Einsparungen werden auf die Runde verteilt, die theatralisch augenrollend ihre neuen Budgetziele mitnehmen. Commitment gibt es keines. Ist aber auch egal – die Ziele gelten auch ohne Commitment. Auch das ist Teil des Spiels.
Bei den Personalzahlen bahnt sich Ähnliches an. Kitzler geht, wie fast immer, in die Rolle des Strebers und übernimmt mehr Abbauziele als die anderen. Er ist wahrlich ein braver Söldner. Intern wird er als der Totengräber seiner Organisation bezeichnet – Mr. Undertaker. Zielerfüllungsgrad 100 Prozent und mehr. Insbesondere, wenn es um Personalabbauziele geht. Man segelt halt besser mit dem Wind im Rücken, der von oben kommt. Das kann er. Die anderen atmen auf. Budget- und Personalzahlen abgehakt.
Es kommt der letzte Agenda Punkt: die anstehende Klausur. In einem ausführlichen Brainstorming werden die möglichen Ziele diskutiert. Also nicht, was man erreichen will, sondern wo man hinfährt. Die eine Hälfte ist für drei Tage Therme, die andere Hälfte fürs Mittelburgenland. Sprotzer will keinen Rotwein, Kotter will nicht Radfahren. Man einigt sich auf die Südsteiermark – mit Wanderausflug und Weinverkostung.
Schließlich muss man sich auch mal was gönnen in dieser schwierigen Situation, wo man immer nur über Einsparungen und Personalabbau diskutieren muss.
Learnings
Ein Jour fixe auf dieser Ebene ist eine Zeremonie und eine Bühne zugleich.
- Für die Direktorinnen- und Direktoren-Riege ist es die Spielwiese mit der Chefin/COO. Es ist ihr Habitat. Hier kann unterstrichen werden, wofür man gerne gesehen wird: Anwesenheit, Einsatz, Engagement, toughes Management.
- Die Präsentationen sind aufpoliert und sicherheitshalber mit allen relevanten Personen im Vorfeld abgestimmt. Niemand will hier Überraschungen oder schlechte Nachrichten. Manager wollen nicht überrascht werden – einige nicht mal zu Weihnachten.
- Für die untergeordneten Abteilungsleiter und Projekte ist es eine Wertschätzung ihrer Arbeit. Zumindest sollte es das sein. Die Währung der Führung heißt „gewidmete Zeit“. Jeder, der hier präsentieren darf, wird vordergründig wertgeschätzt – die erhoffte Wirkung wird jedoch oft überschätzt. Oft zwingt der enge Zeitplan dazu, parallel andere Dinge zu erledigen. Fairerweise: nicht alle Präsentationen laufen so ab.
- Seit Corona und Online- bzw. Hybrid-Meetings haben sich parallele Chats für Partikularabsprachen oder einfaches Lästern eingebürgert. Ohne weiteren Kommentar.
- Die einzig wichtigen Punkte sind die Budget- und FTE-Zahlen, weil diese Zielerreichungs- und somit Bonus-relevant sind. Sie werden akribisch vorbereitet und heiß diskutiert. Trotzdem verkümmert die inhaltliche Diskussion oft zur Farce, weil die Unternehmensnotwendigkeit die Ziele diktiert. Es gibt kein Entrinnen.
- Jedes noch so gut vorbereitete Argument gegen eine Einsparung wird auf dem Altar der Alternativlosigkeit geopfert. Wer da nicht mitspielt, spielt bald überhaupt nicht mehr mit.
- Die Führung hat gelernt: Die vorhergesagten Katastrophen treten selten ein. „A bisserl was geht immer“, das ist das Learning.
- Das Ventil ist die Diskussion über die Klausur. Sie baut die Spannung ab und bringt am Ende alle wieder an einen Tisch.
Sind Sie ab und an Gast in einem solchen Jour fixe? Wie nehmen Sie die Runde wahr?
Sind Sie selbst fester Bestandteil einer solch illustren Runde? Wie viel Spaß macht der wöchentliche Fixtermin?
Sind Sie in der Rolle der COO und veranstalten einen ähnlichen Jour fixe? Was tun Sie, damit dieser nicht nur zur Bühne wird?
Hinterlassen Sie uns gerne Ihre Fragen, Gedanken und Anmerkungen dazu in einem persönlichen E-Mail.
Artikel erschienen am 29.04.2025 in der „Presse„: https://www.diepresse.com/19628999/jour-fixe